0827 - Der Rosenfluch
es nicht spüren und fühlen können, bei mir ist das aber etwas anderes. Ich kann es dir nicht erklären, aber ich weiß alles.«
Ich wusste nicht genau, was ich dazu sagen sollte. Etwas besorgt war ich schon, denn Iris hatte mit einer ganz anderen Diktion gesprochen. Die kindliche Ausdrucksweise war aus ihren Worten verschwunden gewesen.
Ich hatte in diesem Moment den Eindruck, als würde eine erwachsene Frau neben mir sitzen.
Nicht, dass ich daran zu knacken gehabt hätte, aber ungewöhnlich war es schon.
Sie schaute aus dem Fenster. Ich hatte in der letzten Zeit nicht mehr so auf die Landschaft geachtet, aber sie zeigte mittlerweile eine Veränderung.
Wir hatten das flache Donautal hinter uns gelassen und es grüßten beiderseits des Stroms die Hügel der Wachau.
Ein herrlicher Flecken Erde. Ein Weinland, ein Land des Gesangs, der Radfahrer oder, wie man heute so schön sagt, der Biking-Touristen. An der von Krems her nach Süden und hin zur Donau führenden Straße lagen zahlreiche kleine Weinorte, Kleinode, für die die Wachau berühmt war.
Namen wie Stein, Spitz und natürlich Dürnstein sind einfach ein Begriff.
Dürnstein war auch unser Ziel, und als ich daran dachte, lief mir schon ein leichter Schauer über den Rücken. Automatisch fiel mir die Burg ein, natürlich beschäftigten sich meine Gedanken dabei mit der alten Legende, denn auf Dürnstein war Richard Löwenherz gefangen gehalten worden, bis ihn der nach ihm suchende Sänger Blondel entdeckt hatte.
Löwenherz ein Templer.
Einer, der ich einmal gewesen war oder der in Hector de Valois und dann in mir wiedergeboren war.
Ein dünner Schweißfilm lag auf meiner Stirn. Ich atmete schnaufend durch die Nase aus, was nicht ungehört blieb, denn meine junge Begleiterin fragte mich: »Hast du was, John?«
»Nein – warum?«
»Du hast so komisch geatmet.«
Ich lachte und ärgerte mich, dass es unecht klang. »Ich hätte vielleicht hier auch mal Urlaub machen sollen.«
»Ja!« jubelte sie und stieß ihre Arme vor und zurück. »Das hättest du. Es ist wunderbar. Du glaubst gar nicht, was wir hier alles erlebt haben. Wir waren überall. In Joching, in Maria Laach, in Spitz und in Dürnstein.« Sie war in ihrem Element und zählte noch einige Ortsnamen auf, was mich wiederum wunderte, denn in Iris’ Alter schwärmte man nicht gerade für die Wachau.
Der Herbst und auch der Frühling sind die Zeiten, um die Wachau zu besuchen. Zu dieser Zeit, in den letzten Oktobertagen, waren nur noch wenige unterwegs. Pech für sie, denn sie verpassten ein herrliches Bild, denn die Landschaft nahm kein Eintrittsgeld, sie bot sich uns kostenlos dar.
Da waren nicht nur die Weinberge rechts und links der Donau. Die mächtigen, alten Laubbäume sahen mit ihren Blättern aus, als wären diese in bunte Tinte getaucht worden. Von einer dunklen Rostfarbe angefangen bis hin zum knalligen Gelb sahen wir alles, was unser Auge rundherum erfreute.
Eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch, überhaupt nicht traurig oder düster, denn vom Wasser her stiegen keine Nebelschwaden auf, und schienen sich an den Hängen festzuhalten.
Es störte mich überhaupt nicht, dass ich nicht die vielbesungene blaue Donau sah, sondern einen Fluss, der sich in grauen und grünen Farben einen Weg bahnte und trotzdem so freundlich wirkte, weil eben das Licht der Sonne auf seiner Oberfläche entlangschliff und die schaumigen Wellen in wertvoll aussehende, sprudelnde Ketten verwandelte.
»Du findest es auch toll, nicht?«
»Und wie.«
»Wusste ich doch.« Iris grinste und holte tief Luft. Dann fügte sie noch einen Satz hinzu. »Und das da vorn, das ist Dürnstein, John. Das ist es.«
Ich wunderte mich über den Ton, er hatte so endgültig geklungen, aber was den Ort mit seinem herrlich an der Donau gelegenen Stift anging, hatte sie Recht.
Es war ein von der Herbstsonne verwöhnter Traum. Die Zufahrt zum Hotel schloss Dürnstein war ausgeschildert. Eine Toreinfahrt schluckte unseren Wagen. Wir konnten ihn im Innenhof des Hotels auf einem kleinen Parkplatz abstellen und von dort aus, über eine Mauer hinweg, auf die Donau schauen.
Diesen Blick musste ich einfach genießen, bevor ich mich abwandte und zurückschaute.
Im Torbogen stand Suko. Er nickte mir zu, was er auch riskieren konnte, denn das Mädchen war dabei, Erinnerungen aufzufrischen und davon zu sprechen, wie toll es hier doch gewesen war. »Und mich wird keiner erkennen«, sagte Iris. Ihre Stimme klang so, als würde ihr dieses
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