0828 - Der Henker des Herzogs
flüsterte der Inspektor, »es geht schon wieder. Ich war nur für einen Moment benommen.«
»Lag es am Duft?«
»Nein. Oder nicht nur.« Suko lächelte, als er die Sorge auf dem Gesicht des Professors sah. »Es war da noch etwas anderes. Ich kann jetzt mit Bestimmtheit behaupten, dass John Sinclair lebt. Ich habe ihn gesehen. Ihn und auch Richard Löwenherz.«
Professor Chandler schwieg. Selbst er verstand in diesen Augenblicken die Welt nicht mehr…
***
Ich hatte den König von England auf die harte Bank gebettet, stand daneben, schaute in sein sehr blasses Gesicht und war völlig verwirrt.
Die Tatsache, dass vor mir eine der größten geschichtlichen Persönlichkeiten lag, war eigentlich unfassbar. Ich musste mit dieser Tatsache zunächst einmal fertig werden, und ich wusste nicht, ob ich mich selbst bedauern oder beneiden sollte.
Ich hatte einen wahnsinnigen Job. Unwahrscheinliche Erlebnisse lagen hinter mir. Ich kannte Avalon, ich kannte Aibon, ich hatte Zeitreisen in die entfernte Vergangenheit hinter mich gebracht, aber dieser Augenblick gehörte doch zu den Erhabensten in meinem Leben.
Ich fühlte mich ähnlich wie damals, als es mir gelungen war, in die Cheops-Pyramide einzudringen und das dort versteckte Tor einer gewaltigen Kammer aufzustoßen, hinter dem uralte Geheimnisse verborgen waren. Damals hatte ich das Tor wieder schnell zugestoßen, weil ich an gewissen Dingen nicht rühren wollte.
Nun konnte ich nicht verschwinden, ich musste mich den Tatsachen stellen, auch wenn sie noch so unglaublich waren.
Irgendwann würde sich die Tür dieses Verlieses öffnen, und dann würde ich natürlich versuchen, Richard und mich zu befreien, wobei ich nicht an die Geschichte dachte, die dies ganz anders festgeschrieben hatte.
Aber Details wusste sie auch nicht, und die erlebte ich nun hautnah mit.
Es gab in diesem Verlies kein Wasser, das ich hätte in das Gesicht des Königs träufeln können. Zwar waren zwei Näpfe gleicher Größe vorhanden, doch beide waren leer.
Den König hatte es ziemlich hart erwischt. Die lange Gefangenschaft, das schlechte Essen, die Folter und dann noch der Schock, das Kreuz zu sehen, waren zu viel für ihn gewesen. Ich hatte schon Schlimmes befürchtet und war froh, seinen Herzschlag zu spüren.
Sicherheitshalber ließ ich das Kreuz verschwinden, bevor ich damit anfing, ihn wieder aus der Bewusstlosigkeit hervorzuholen. Ich tätschelte seine Wangen, sprach ihn dabei immer wieder an und wartete darauf, dass er die Augenöffnete. Ich wollte mit ihm reden, um zu erfahren, was sich genau abspielte oder abgespielt hatte. Es wäre gefährlich gewesen, wenn plötzlich irgendwelche Bewacher erschienen wären und mich neben dem ohnmächtigen Löwenherz sitzen gesehen hätten.
Noch immer konnte ich es kaum fassen, wer da vor mir lag. Eine historische Persönlichkeit, über die so viel geschrieben worden war.
Wären wir uns in einer friedlichen Situation begegnet, hätte ich ihn gern gefragt, wie die Verhältnisse in seiner Zeit tatsächlich abgelaufen waren, aber dazu würde ich wohl kaum Gelegenheit haben, denn die Fragen hatte zunächst einmal der König.
Seine Lider bewegten sich flatternd. Für mich ein Schimmer der Hoffnung. Es würde nicht mehr lange dauern, dann wachte er wieder auf.
Er lag, ich stand.
Sein Blick traf mich.
Ich lächelte.
Und mein Lächeln hinterließ bei ihm ein Zucken der Mundwinkel.
»Wieder da?«
Er hatte Mühe mit dem Sprechen, vielleicht auch mit der Erinnerung, denn er sah so aus, als würde er über sein Schicksal nachdenken. »Ich brauche Wasser«, brachte er hervor.
»Es ist nichts mehr da.«
»Sie werden gleich etwas bringen. Sie füllen die Schale immer. Eine mit Wasser, eine mit Nahrung. Wie bei einem Tier.« Er streckte mir die Hand entgegen. Ich ergriff sie und zog Löwenherz in die Höhe. Er blieb auf der Pritsche hocken, die Füße hart gegen den Boden gestemmt, und schaute ins Leere. Ich wusste, dass ihn die Fragen beschäftigten. Ich setzte mich neben ihn, schaute zu, wie er durch sein Gesicht strich und mir seinen Kopf zudrehte.
»Ich bin ohnmächtig geworden«, sagte er leise.
»Das stimmt.«
»Weil ich etwas gesehen habe. Es überkam mich wie ein Schock. Ich habe etwas gesehen, das mir gehört. Ich habe das Kreuz besessen, aber man nahm es mir ab. Dann würdest du, da du es jetzt besitzt, zu meinen Feinden gehören. Aber man hat dich auch in den Kerker geworfen, obwohl du das Kreuz hast. Die Soldaten müssen es gesehen
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