0828 - Der Henker des Herzogs
meine Zeit«, sagte ich mit einer etwas verloren klingenden Stimme. »Hier passe ich einfach nicht her. Ich würde immer ein Fremder bleiben.«
Der König schaute mich an. »Ich sehe in dir einen Freund, einen Getreuen. Ich würde es begrüßen, wenn du an meiner Seite reitest, aber ich kann dich auch verstehen. Ich weiß, dass zwischen uns eine große Seelenverwandtschaft besteht. Du bist durch die Rose hierher in meine Zeit gelangt. Ich will nicht nach weiteren Gründen forschen und dich auch nicht nach dem Kreuz befragen, das mir abgenommen wurde. Ich weiß auch nicht, ob es die Tempelritter noch in deiner Zeit gibt, aber wenn die Rose dir eine Rückkehr erlaubt, dannnimm sie bitte, denn mir reicht es, dass ich gefunden worden bin.«
Ich lächelte ein wenig verloren. »Nein, die Rose spielt eine besondere Rolle. Man kann sie nicht formen. Sie tut sowieso, was sie will, denn sie ist diejenige, die die Macht besitzt. Merlin und Artus haben sie gezüchtet, und die beiden haben genau gewusst, was sie taten. Sie wird mir nicht gehorchen, auch wenn ich es fordere. Sie ist immer in der Lage, ihren eigenen Weg zu gehen.«
Löwenherz ließ sich nicht beirren. »Nimm sie trotzdem. Versuche es bitte, John.«
»Gut, wie du meinst.«
Ich nahm die Rose entgegen und gab Acht, dass mir die Stacheln nicht in das Fleisch der Hände fuhren. Ich kippte die Blume und brachte sie dicht vor mein Gesicht.
Wieder atmete ich den betäubenden Geruch ein, der mich von meiner eigentlichen Aufgabe ablenken sollte. Dagegen stemmte ich mich, denn ich merkte, dass sich mir die Rose sehr wohl öffnete.
Tief in ihrem Innern passierte etwas. Ob es nun tatsächlich ein heller Tropfen war, den ich da entdeckte, wollte ich mal dahingestellt sein lassen, aber dieser Tropfen zitterte, und er nahm eine andere, eine flachere Form an.
Er verwandelte sich in einen Spiegel.
Ich hätte mich eigentlich in einem Ausschnitt sehen müssen, stattdessen gab mir der Spiegel eine Durchsicht und zeigte mir eine Szene, die mit dieser Welt nichts zu tun hatte.
Ein Kellerraum.
Drei Personen.
Bea Quentin und die Conollys. Und ich sah noch einen vierten Mann, einen schwer bewaffneten Ritter, der soeben auf die drei zuschritt, weil er sein Verlies verlassen hatte.
Ich wollte etwas sagen, da war das Bild verschwunden, und die Rose fiel mir aus der Hand…
***
Richard Löwenherz hatte sich gebückt, sie wieder aufgehoben und hielt sie fest. Fragend sah er mich an. Ich strich mit einer müden Bewegung über meine Augen, legte die Stirn in Falten und sagte mit Flüsterstimme: »Da ist etwas passiert. Ich habe in die Rose hineinschauen können, und sie hat sich mir geöffnet wie eine geheimnisvolle Tür.«
»Was hast du denn gesehen?«
»Freunde aus meiner Zeit.« Wieder schaute Richard mich staunend an. Er war kaum in der Lage, seinen Mund zu schließen. Es war zu viel für ihn, und ich wollte auch nicht auf Einzelheiten eingehen. Eines aber musste er trotzdem wissen. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Da ist noch etwas gewesen, Richard. Ich habe nicht nur Freunde aus meiner Zeit in einem Keller gesehen, ich sah eine Gestalt, die hierher gepasst hätte.«
»Hierher?«
»Ja.«
»Kannst du sie beschreiben?«
»Gut sogar, obwohl ich sie nur für kurze Zeit gesehen habe. Aber man kann sie nicht vergessen. Es war ein Kämpfer, ein Ritter, ein Soldat oder was weiß ich. Er trug ein breites Schwert, ein Kettenhemd und eine Lanze mit einer roten Kugel an der Spitze. Das Haar war lang und blond, das Gesicht zeigte einen wilden Ausdruck…«
»Trug er tatsächlich die Lanze mit der roten Kugel?«
»Ja.«
Ich hätte nicht gedacht, dass Richard Löwenherz noch blasser hätte werden können, aber es trat bei ihm ein. »Ich – ich – kenne ihn. Er ist bekannt, er ist ein grausamer Mensch. Ich kenne ihn aus England, denn dort arbeitete er als Henker. Er hat von seinen Opfern immer ein wenig Blut gesammelt und es in das Gefäß hineinrinnen lassen. Er heißt Goddem und ist der Henker meines Bruders. Wenn du ihn gesehen hast, wird er auch hier noch eine große Rolle spielen…«
***
Mein Mund war plötzlich trocken geworden. Auf dem Gesicht aber lag der Schweiß, denn die Erklärungen des Richard Löwenherz hatten mich getroffen wie ein heftiger Adrenalinstoß. Ich wusste so gut wie nichts mehr und musste mich anstrengen, um meine Gedanken in eine bestimmte Richtung zu lenken.
»Der Henker deines Bruders, das glaube ich dir. Aber warum ist er dann in meiner
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