0829 - Der Alpen-Teufel
segnen.«
Rogner verdrehte die Augen. Auch er glaubte an Gott, auch er ging in die Kirche, aber was seine Mutter da sagte, klang doch etwas übertrieben. Er stand auf und ging zum Fenster, weil er frische Luft brauchte und den Rauch der Kerzen nicht mehr ertragen konnte.
»Was willst du tun, Bertl?«
»Luft schnappen. Hier ist es zu warm und stickig.« Er zerrte das kleine Fenster auf und lehnte sich hinaus.
Es war eine Wohltat, die Kälte zu spüren und in die dunkle Nacht mit dem sternenübersäten Himmel zu schauen. Alles war so friedlich, so wunderbar, so still, doch gerade die letzte Eigenschaft verging, denn plötzlich hörte er ein unheimliches Geräusch.
Ein schauriges Heulen geisterte zitternd durch die Nacht und ließ den einsamen Lauscher erstarren.
Der Mann bekam eine Gänsehaut und glaubte, zu Stein zu werden.
Auch Maria Rogner hatte das Geräusch gehört. Sie sagte irgendwelche Worte, die sie wohl nur selbst verstand, lief auf ihren Sohn zu und umfaßte ihn mit beiden Händen. Ihre Lippen befanden sich dicht an seinem Ohr. »Er ist nahe, nicht wahr? Er ist fast hier, er ist…«
Ein weiteres Geräusch ließ sie verstummen.
Hell, peitschend und knallend wetterte das Echo durch das Tal und hallte von den Bergwänden wieder.
»Was war das, Junge?«
»Ein Schuß Mutter, ein Schuß.« Bert spürte den Schweiß auf seinen Handflächen. Sie war glitschig geworden, und er drückte dem unbekannten Schützen die Daumen, daß er dieses Untier erwischt hatte. Sofort erinnerte er sich an die beiden Fremden, die ihm das Leben gerettet hatten. Ihnen traute er zu, daß sie diesen irren Killer stoppten.
Ein weiterer Schuß fiel nicht mehr. Die Stille legte sich wieder über das Tal. Nur wenn jemand genau hinhörte, vernahm er das Rauschen des Alpbachs.
»Das ist unten am Wasser gewesen, Mutter, bestimmt, glaub mir.«
»Komm vom Fenster weg, Bertl, es ist zu gefährlich. Mach dich nicht unglücklich.« Sie zog ihren Sohn zurück und schloß das Fenster so hastig, daß es laut knallte.
Rogner strich über seine Stirn und befreite sie vom Schweiß. Er brauchte einen Schluck. Seine Mutter schaute kommentarlos zu, wie er die Flasche an- und später wieder absetzte.
»Ob er tot ist?« fragte sie nach einer Weile.
»Wen meinst du?«
»Diesen Alpen-Teufel.«
Bert hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich habe das Gefühl, daß er stärker ist.«
»Stärker als was?«
»Als eine Kugel. Der… der widersetzt sich doch allem. Er hat es nicht nötig, er ist kein Mensch, er ist eine Bestie, ein grauenvolles Wesen. Da kannst du noch so oft schießen, es wird nicht klappen, Mutter. Ich glaube es nicht.«
»Uns hat der Herrgott geholfen, Junge!«
Scharf winkte Bert ab. »Vergiß es doch!«
»Was soll ich vergessen?« flüsterte Maria Rogner. »Den Herrgott? bist du denn des Wahnsinns, Junge? Ich kann doch nicht den Herrgott vergessen. Das ist unmöglich!«
»So habe ich das nicht gemeint.«
»Wie denn?«
Rogner ballte beide Hände zu Fäusten. »Der Herrgott kann uns in diesem Fall nicht helfen, weißt du das denn nicht? Wir müssen es selbst tun. Es hat schon fünf Opfer gegeben, und da hat der Herrgott auch nicht eingegriffen. Wir müssen unser Schicksal wirklich selbst in die Hände nehmen.«
Die alte Frau ging mit müden Schritten zum Tisch. Sie setzte sich hin und schaute auf das Fenster, in dessen Nähe noch ihr Sohn stand. Er schien darüber nachzudenken, ob er das Fenster öffnen sollte oder nicht, was auch seiner Mutter nicht verborgen blieb. Warnend hob sie eine Hand. »Laß es lieber bleiben, Junge, sei so gut! Locke den Teufel nicht her. Du darfst ihm auf keinen Fall den kleinen Finger reichen. Er nimmt nicht nur die ganze Haut, sondern reißt dir den gesamten Arm ab. Dann wird er auch nach deinem Körper schnappen. Er ist eben unersättlich.«
»Mutter!« Bert holte tief Luft. »Mutter, ich sage dir jetzt noch einmal, daß er nicht der Teufel ist. Er ist nicht der Teufel. Der Teufel sieht, wenn überhaupt, anders aus.«
»Woher willst du das denn wissen?«
»Ich habe genug über ihn gelesen.«
»Vergiß es doch!«
»Nein, er ist etwas anderes. Er wird nur der Alpen-Teufel genannt. Der richtige Teufel ist nicht so.«
Die sehr gläubige Maria Rogner schlug ein Kreuzzeichen. »Hoffentlich versündigst du dich nicht.«
»Auf keinen Fall. Dieser Teufel hat einen Namen, Mutter. Oder hast du vergessen, was Anna Lederer kurz vor ihrem Tod gesagt hat? Sie hat ihn Paul genannt. Und du weißt
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