0829 - Die Hölle der Unsterblichen
nichts wussten.«
»Schon gut«, rief Andrew lauter als es nötig gewesen wäre. »Ich habe verstanden!«
Es gab Momente, da fragte sich Professor Zamorra, warum in Fernsehserien Teams meist reibungslos zusammenarbeiteten. Im wirklichen Leben sah das anders aus - wo Menschen zusammentrafen, da menschelte es an allen Ecken. Und wenn dann noch ein Ex-Teufel dazukam…
Der Meister des Übersinnlichen seufzte aus tiefstem Herzen.
***
In der Wohnung von Henri Baudelaire hielt sich nicht nur deren Besitzer auf. Er teilte sie sich seit Stunden mit einem Wesen, dessen Existenz selbst er, der seit Jahren um die Realität der finsteren Mächte wusste, nicht für möglich gehalten hätte.
Angélique - der schwebende Kopf eines Vampirs.
Baudelaire war auf Gedeih und Verderb an diese Kreatur gekettet; sie war auf höchsten Befehl hin seine Partnerin. Lucifuge Rofocale, der Ministerpräsident der Hölle, hatte es so bestimmt.
Es gab Augenblicke, da glaubte der ehemalige Sektenführer, unterhalb des Kopfes auch den Körper Angéliques sehen zu können, als geisterhafte, durchscheinende Gestalt. Dazu passte es, dass der Vampirkopf sich stets etwa anderthalb Meter über dem Boden befand.
»Was starrst du mich so an?«, fauchte die Vampirin.
Rasch wandte Baudelaire den Blick ab. »Ich…«
»Spar dir deine Ausflüchte!« Angéliques Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. »Ich bin es gewohnt, Blicke auf mich zu ziehen. Selbst in der Hölle bin ich eine ungewöhnliche Gestalt.«
»Wie kam es dazu, dass… dass nur noch dein Kopf existiert?« Und dass er ohne Körper leben kann?
»Wer sagt, dass mein Körper nicht mehr existiert?«
»Er… er ist nicht zu sehen.« Baudelaire geriet ins Schwitzen und schalt sich einen Narren, dieses Thema überhaupt angesprochen zu haben.
»Er ist unsichtbar, und er ist meist nicht stofflich - aber er existiert.« Angélique schloss die Augen. »Sieh her.«
Die Luft unterhalb des Kopfes begann zu wabern. Konturen schälten sich heraus, die Linien eines Frauenkörpers. Schlanke Arme, ein weit ausgeschnittenes, schwarzes Kleid mit dünnen Trägern…
»Was ist mit deinem Körper geschehen?«
»Ich führte einst ein magisches Experiment durch. Es lief nicht alles so, wie ich es plante.«
Baudelaire war überrascht, dass Angélique so bereitwillig Auskunft gab.
Der Körper der Vampirin war inzwischen klar zu erkennen. Nichts erinnerte daran, dass es noch vor wenigen Momenten anders gewesen war.
»Wie gefalle ich dir?«, fragte Angélique und lächelte.
Sie war ohne Zweifel schön - schlank, mit der Figur eines Modells, die Haut zwar bleich, aber nicht ungesund wirkend, sondern in Baudelaires Augen eher vornehm. Dennoch war er ein Mensch, und sie eine Kreatur der Finsternis. Obwohl er sein Leben der Hölle verschrieben hatte, konnte er doch nicht…
»Wieso antwortest du nicht?«, riss sie ihn aus seinen Gedanken.
»Du bist schön.« Seine Worte waren schwach und leise. Er hatte vergeblich versucht, Überzeugungskraft in sie zu legen.
Die Vampirin trat näher an ihn heran. »Es erfordert Konzentration, meinen Körper sichtbar zu halten. Ich tue es nur für dich.«
Baudelaire lief ein Schauer über den Rücken, als Angélique ihre rechte Hand hob und sie ihm näherte. Seine Nackenhaare stellten sich auf, als die-Vampirin ihn an der Wange berührte. Mit ihrer Linken griff sie seine Hand und legte sie sich an die Hüfte.
Selbst durch den Stoff des Kleides hindurch konnte er die Kälte ihrer Haut spüren.
Plötzlich fühlte er sich an sie gedrückt. Seine Gedanken rasten. Was sollte er tun?
Ihr Gesicht war vor dem seinen. Ihr Mund öffnete sich. »Küss mich«, sagte sie, und stinkender Blutgeruch drang ihm entgegen.
Sein Magen revoltierte, er spürte ein Reißen in seinen Gedärmen und…
Die Vampirin stieß ihn von sich und lachte. Die Konturen ihres Körpers verschwammen, bis wieder nur der schwebende Kopf zu sehen war. »Keine Angst, Mensch«, sagte sie. »Du bist nicht nach meinem Geschmack.«
»Wir sollten uns auf unsere Arbeit konzentrieren«, sagte Baudelaire, mühsam einen Würgereiz unterdrückend.
»Eine hervorragende Idee.«
Der ehemalige Sektenführer warf einen Blick auf den Bereich unterhalb des Kopfes Angéliques.
»Mein Körper ist nicht nur unsichtbar, er ist nicht mehr stofflich.« Etwas Aufforderndes lag in ihrer Stimme.
Baudelaire zögerte einen Augenblick, dann ließ er seine Hand dort hindurch fahren, wo sich die Schultern der Vampirin hätten befinden
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