0829 - Die Hölle der Unsterblichen
meinen kurzen Bericht zu Ende bringen zu lassen? Die Geheimlehre wurzelt in jenem Teil der Welt, den ihr heute Afrika nennt, doch sie verbreitete sich überall. In allen großen kulturellen Zentren fanden sich Menschen zusammen, die ihr anhingen. Sie gelangte auch in eurer hübsches Land. Die Reise, die ihr anzutreten habt, wird also nicht allzu lange dauern. Sie wird euch in eure Hauptstadt führen - Paris.«
***
Der Pariser Bezirk Vanves wurde Schauplatz einiger Grauen erregender Schreckenstaten.
Etwa der Fall von Gérard Bolier, einem achtunddreißigjährigen Computerspezialisten. Er hatte einen langen Arbeitstag hinter sich, als er gegen sieben Uhr morgens das Büro der Polsterwarenfabrik verließ.
Ein Virus hatte das dortige Computernetzwerk völlig lahm gelegt. Es hatte Stunden in Anspruch genommen, überhaupt Zugriff zu einigen Daten zu bekommen - die erste Feststellung, die Gérard machte, war, dass die Schutzsoftware des Unternehmens hoffnungslos veraltet war.
Gérard hatte am Vortag um sechs Uhr morgens seine Arbeit aufgenommen, und zuletzt war ihm keine Wahl geblieben, als sich auch noch die Nacht um die Ohren zu schlagen. Fünfundzwanzig Stunden! Er hatte fünfundzwanzig Stunden gearbeitet und sich nicht einmal eine Pause gegönnt.
Jetzt liefen die Computer wieder reibungslos. Gérard war hundemüde.
Der Besitzer der Fabrik kam ihm auf dem Flur entgegen. »Immer noch hier?«, fragte er mit einem impertinenten Lächeln.
Nur der Gedanke an die stattliche Prämie, die er für seine Dienste erhalten würde, hielt Gérard davon ab, seinem Gegenüber an die Kehle zu gehen. »Das Problem war groß, um nicht zu sagen, gewaltig. Kaufen Sie sich ein vernünftiges Schutzprogramm, sonst wird in Kürze alles wieder von vorne losgehen«, antwortete er honigsüß. »Ich schicke Ihnen einen Bericht zu. Sie entschuldigen mich bitte, ich bin ein wenig müde.«
Er genoss den verblüfften Ausdruck auf dem Gesicht seines Kunden. Die Art, wie sich die Augen weiteten und sich die Stirn in Falten legte, erinnerte Gérard an einen traurigen Seehund.
Sekunden später trat er ins Freie. Die kühle Morgenluft belebte ihn ein wenig. Seinen Wagen hatte er am anderen Ende des Parkplatzes abgestellt. Hier in diesem Industriegebiet waren nur wenig Menschen unterwegs - wer sich um diese Zeit hierher verirrte, kannte nur das Ziel, seinen Arbeitsplatz einzunehmen.
Der Parkplatz war menschenleer.
Plötzlich überlief Gérard ein Schauer. Sein Herz begann heftiger zu schlagen. Ihm war, als starre ihn etwas Böses an…
»Unfug!«, beruhigte er sich selbst. Das musste an der Müdigkeit liegen.
Doch er wurde rasch eines Besseren belehrt. Noch ehe er sein Auto erreichte, stand plötzlich eine Gestalt vor ihm. Sie trug eine braune, sackartige Kutte.
Eine Kutte!
»Kommen Sie vom Maskenball, oder was?«, sagte Gérard, halb amüsiert, halb ängstlich. Warum sah der Kerl denn so totenbleich aus?
»Zeit zum Sterben«, antwortete der andere. Er riss den Mund auf, und Gérard sah die langen Eckzähne.
Der hält sich für einen Vampir, dachte Gérard noch. Es war sein letzter Gedanke. Danach folgte nur noch ein scharfer, brennender Schmerz am Hals.
***
Der Fall Gérard Bolier war bei Weitem nicht der einzige, der die Behörden von Vanves und ganz Paris wenige Stunden später in Aufregung versetzen sollte.
Da war etwa Mirka Surec, eine Polin, die es vor zehn Jahren nach Paris verschlagen hatte. Damit hatte sie mehr als die Hälfte ihres Lebens in Frankreich verbracht, denn ihr zwanzigster Geburtstag lag noch ein halbes Jahr in der Zukunft.
Paris, die Stadt der Liebe, hatte ihr kein Glück gebracht. Sie war mit ihrer Mutter illegal eingereist, und noch bevor sie Dreizehn geworden war, war sie zur Waise geworden.
Zwei Jahre verbrachte sie auf der Straße und unter Brücken, schlug sich irgendwie durch… mit Fünfzehn verkaufte sie zum ersten Mal sich selbst. Der schwitzende, dicke Franzose kam am nächsten Tag wieder, und er brachte einen Freund mit.
Bald war Mirka groß im Geschäft. Ihre besonderen Qualitäten wurden geschätzt… es gelang ihr, ›selbstständig‹ zu bleiben, obwohl man ihr mehrmals ›Schutz‹ anbot.
Noch zwei Jahre, dann würde sie aussteigen, das schwor sie sich immer wieder. Seit zwei Jahren, übrigens. Langsam aber sicher glaubte sie aber das Versprechen, das sie sich selbst gegeben hatte. Sie würde keine Nutte bleiben, bis sie eines Tages zu alt für diesen Job war.
Ihr heutiger Kunde war ein
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