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083 - Das Ende der Unschuld

083 - Das Ende der Unschuld

Titel: 083 - Das Ende der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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der Art Geschlagenen in ihren eigenen Reihen genauso.
    »Seht nur«, sagte der älteste Seher, »wie sie sich aufführen. Sie tanzen, sie schreien durcheinander, sie machen Musik. Wer mag ihre Sinne verwirrt haben?«
    Nicht lange, und Bulba’han und seine Schwertkrieger wurden entdeckt. Eine Abordnung löste sich aus dem Tumult vor der Klippenwand und näherte sich ihnen. Drei Maulwürfe und drei vierhändige Fischfänger. Sie schienen es eilig zu haben, taten große Schritte, verfielen gar in Laufschritt.
    »Ihr kommt wie gerufen!«, rief einer Fischfänger schon von weitem. Mit allen vier Armen fuchtelte er herum. Für Bulba’hans Augen unterschied er sich in nichts von seinen zwei Artgenossen. Sogar ihre weiten Hosen und ärmellosen Westen sahen einander zum Verwechseln ähnlich. Die Rriba’low selbst erkannten einander angeblich nur an den Maserungen ihrer Schuppen auf Fuß- und Handrücken und an den Schultern.
    »Ich bin Taqua’floydan!«, rief der Rriba’low. Zwei Schritte vor Bulba’han blieb er stehen. »Taqua’floydan, du weißt schon - der Fischerfürst von der Säbelbucht!« Bulba’han hatte den Namen nie gehört. Er trat einen Schritt zurück. Das Verhalten des Fischers brüskierte ihn: keine Verbeugung in vorgeschriebener Entfernung, keine zweite vor dem ersten Wort, und überhaupt: Die ganze Begrüßung war einfach kindisch. Ich bin Taqua’floydan, wen interessierte das?
    Nach Bulba’hans Ergehen und dem seiner Sippe hätte er sich erkundigen müssen, nach seinem Weg, nach seinen Geschäften, und irgendwann - falls Bulba’han sich entschlossen hätte, ihm zu antworten - hätte er sich nach Bulba’hans Namen erkundigen müssen. Dann erst wäre sein eigener Name angebracht gewesen, und zwar nach einer dritten Verbeugung.
    Auf diese Weise verkehrte man in Bulba’hans Dorf miteinander, unter allen Stämmen der Woiin’metcha, denn so verlangte es das seit Anbeginn der Seeschöpfung gültige Gesetz der Urväter.
    Bulba’han erwiderte also zunächst einmal gar nichts, sondern ließ den ungehobelten Burschen mit den vier Armen, dem stangenartigen Körper und dem langgezogenen, spindelförmigen Gesicht drauflos plappern. Bei allen Dienern der Macht im See - welch eine Strafe, so lächerlich auszusehen!
    »Kommt ihr auch die Lesh’iye beobachten?«, fragte der Vierhändige. Alle blieben stumm, die Seher, die Zeugen, die siebenfache Mutter. Und Bulba’han sowieso. Ein Sieger auf Bluterde sprach nicht mit einem Rüpel, der die Gesetze der Woiin’metcha missachtete. »Kommt ihr auch gucken? Habt ihr’s auch gehört?«
    Der Rriba’low schien die Irritation, die er auslöste, überhaupt nicht zu bemerken. »Viele Lesh’iye, viele, viele!« Taqua’floydan deutete auf den See hinaus. »Noch nie haben wir so viele Todesrochen auf einmal gesehen! Die meisten fliegen, ein paar schwimmen, einer trägt einen Machtengel auf dem Rücken…«
    Bulba’han warf dem ältesten der Seher einen Blick zu. Der unterbrach das Plappermaul schroff: »Wir wissen es! Jeden Tag einen oder zwei Götteraugen.« Die Götteraugen hatten verschiedene Namen unter den vier mächtigsten Seevölkern; die Vierhänder nannten sie Machtengel. »Und deswegen seid ihr hier?«
    »Von Anfang an!«, verkündete Taqua’floydan. »Wir haben mitgezählt: Neunundvierzig Machtengel bis jetzt! Irgendwo da drüben haben sie die Machtengel hingebracht!« Er deutete zur Bucht. Auf der anderen Seite konnte man die Küste sehen.
    »Gar nicht weit von hier! Mur’gash behauptet, jetzt sind sie vollzählig.«
    Bulba’han bemerkte, dass Taqua’floydans Schneidezähne - drei obere und vier untere - aus angerostetem Erz bestanden.
    Nur an den Schneideflächen und in der Mitte glänzten sie, als würde der Rriba’low sie täglich mit einer Feile bearbeiten.
    »Wenn die Sonne den Zenit verlässt, kehren sie meistens zurück. Ohne Machtengel!« Taqua’floydan wandte sich wieder an Bulba’han. »Was sagt ihr dazu? Ist das nicht merkwürdig? Ist das nicht überaus seltsam? Unsere Ältesten sagen, so etwas hätten die Seher der Vorväter geweissagt - für die Tage vor dem Untergang der Welt! Was wird das werden? Was sagt ihr dazu?«
    »Und deswegen seid ihr hier?«, wiederholte der Älteste der Seher.
    »Natürlich!«, ereiferte sich Taqua’floydan. »Stell dir vor, Schwertkrieger, stell dir vor, die Welt geht unter! Weiß man’s? Also feiern wir, also fischen und lieben und spielen und essen wir. Und schließen Wetten ab, ob sie untergehen wird

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