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083 - Das Gasthaus an der Themse

083 - Das Gasthaus an der Themse

Titel: 083 - Das Gasthaus an der Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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Freund, den sie an Bord hatte. Er ging wieder hinaus und kam nach ungefähr zehn Minuten zurück. Er trug Mantel und Hut und winkte ihr. »Ich bringe dich von hier fort«, sagte er leise. »Es wird für dich zu gefährlich. Komm!«
    Sie wollte nach ihrem Mantel greifen, doch er hielt sie zurück. »Laß ihn«, sagte er ungeduldig. Er streckte die Hand durch den Türspalt in die Nebenkabine, und jemand reichte ihm einen dunklen Regenmantel. »Zieh den an, Lila.« Die Ärmel waren ihr viel zu lang, doch trotz seiner fast fiebernden Ungeduld half Oaks ihr, sie aufzukrempeln. »Probier mal, ob dir die Mütze paßt.« Es war eine Herrensportmütze. »Nein, die kann ich nicht tragen —« begann sie. »Probier sie, Kleines, du mußt sie probieren!« Die Mütze paßte sogar recht gut. Aber bevor Lila einen Blick in den Spiegel werfen konnte, packte Oaks sie beim Arm und schob sie hastig in die äußere Kabine. Dort sah sie Aikness und zwei Männer, die sie nicht kannte.
    In einer Ecke dieses Raumes führte eine Tür in einen zweiten, der nicht viel größer war als ein Schrank. Oaks winkte Captain Aikness zu sich. »Was machen wir mit ihr?« flüsterte er ihm zu und zeigte mit dem Daumen auf die Tür. »Ich möchte nicht, daß Lila sie sieht. Nimm sie im zweiten Wagen mit.« Oaks hatte Lila am Fuß der Kabinentreppe stehenlassen, jetzt nahm er sie bei der Hand und führte sie an Deck. Sie schaute sich erstaunt um. Der Nebel war noch dichter geworden, trotzdem sah sie die Bäume und die grünen Wiesen. Der Morgen duftete köstlich. Lila blieb einen Moment stehen und atmete tief die frische Luft ein. »Wie herrlich —« begann sie, aber Oaks ließ sie nicht aussprechen.
    »Du wirst noch genug davon kriegen«, sagte er und schob sie vor sich her über die Laufplanke. Es war traumhaft schön, wieder Gras unter den Füßen zu fühlen. So schön, daß sie vergaß, darüber nachzudenken, warum »Onkel Golly« gelogen oder warum und wie sich die »Rikitiki« in einen ganz gewöhnlichen Lastkahn verwandelt hatte. Der Nebel war so dicht, daß der Mann, der vor ihr ging, kaum zu sehen war, obwohl höchstens fünf oder sechs Meter sie trennten. Bald darauf hatte sie kein Gras mehr, sondern harten Asphalt unter den Füßen. Sie bogen nach links ab, und nach ein paar hundert Metern tauchte der Giebel einer großen Scheune aus dem Grau auf. Auf der Straße stand schon ein Auto bereit. Der Mann vor Lila öffnete die Wagentür, nahm eine Chauffeursjacke heraus, schlüpfte hinein, knöpfte sie zu und setzte eine Schirmmütze auf. Von irgendwoher aus dem Nebel erschien ein zweiter Mann. Er legte sich einen breiten Schlips um den Hals, und Lila fragte sich, warum er das wohl tat, bis auch er eine Jacke anzog und nun einem Diener in Livree zum Verwechseln ähnlich sah.
    Der Wagen war eine schöne Limousine mit einem Wappen an der Tür. Der Polizist, der es wagte, ein so imposantes Fahrzeug anzuhalten, mußte schon ziemlich unverschämt sein. Lila saß kaum im Wagen, als er schon anfuhr. Die Straße war holprig, und sie wurden ziemlich durcheinandergeschüttelt. Sie passierten ein Tor, bogen scharf nach rechts ab, krochen im Schneckentempo durch den Nebel und kamen nach ein paar Minuten auf eine Hauptstraße. Diesmal bogen sie links ab, und Oaks nahm das kleine Mikrophon in die Hand, das neben ihm lag, und sie hörte ein leises Summen. »Windsor, Staines, Hampton, Esher und die Umgebung«, sagte er rasch. Dann lehnte er sich auf dem gepolsterten Sitz zurück und rieb sich die Hände. »Man muß an alles denken, Lila«, meinte er, leise in sich hineinlachend. »Man darf keinem Menschen trauen. — Hast du eigentlich schon gehört, was mit der armen ›Mutter‹ passiert ist?« »Mit Mrs. Oaks?«
    Er schüttelte langsam den Kopf, und auf seinem merkwürdigen kleinen Gesicht erschien ein Ausdruck tiefster Trauer. »Sie ist tot«, sagte er schlicht. Entsetzt sah Lila ihn an, glaubte ihren Ohren nicht mehr trauen zu dürfen. »Tot?« wiederholte sie. »Mrs. Oaks tot — das kann nicht dein Ernst sein? Wie schrecklich!« »O ja, sie ist verschieden«, sagte er. »Wie der berühmte Shakespeare sagte...« »War es ein Unfall?« »Selbstmord«, erwiderte Oaks überraschend kurz angebunden. »Sie war eine wunderbare Frau — in so mancher Beziehung. Leider verstand sie nichts von Kunst, und sie hatte ein höllisches Temperament.« »Aber ich verstehe nicht! Mrs. Oaks hat Selbstmord begangen? Warum nur?«
    »Weil man sie verfolgt hat«, sagte Oaks. Er

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