083 - Der Mann aus der Retorte
Straße, was mich nicht wunderte, da für die Juden der Sabbat begonnen hatte, an dem sie sich alle - in ihre Häuser zurückzogen. Die Straßen waren völlig dunkel. Ich hatte Schwierigkeiten, die Gestalt des Monsters auszumachen, und schloß immer dichter auf.
Plötzlich bog es in eine Gasse ein. Als ich sie betrat, war der Golem nicht mehr zu sehen.
Einen Fluch mühsam unterdrückend, blieb ich stehen. Der Golem mußte in eines der Häuser verschwunden sein. Aber in welches?
So wie ein Großteil der Gassen Prags, war auch diese noch nicht gepflastert. Die Fußspuren des Monsters mußten also zu erkennen sein.
Ich wartete mehr als eine Stunde, dann wagte ich es, die Fackel zu entzünden. Vorsichtig bückte ich mich. Die riesigen Fußabdrücke des Monsters waren deutlich zu sehen. Ich befand mich in der Breiten Gasse, unweit der Altneusynagoge. Die Häuser hatten keine Nummern, sondern nur Zeichen. Vor einem großen Haus, das einen Löwen als Zeichen trug, hörten die Fußspuren auf.
Rasch ging ich weiter und preßte mich in ein Haustor. Nochmals wartete ich fast eine Stunde, doch der Golem tauchte nicht mehr auf.
Ich holte mein Pferd aus der Neustadt und ritt zurück in die Burg. Für diese Nacht hatte ich genug erfahren. Morgen würde ich mir das Haus ansehen, in das der Golem das Mädchen gebracht hatte. Wem das Haus mit dem Löwenabzeichen gehörte, würde ich leicht erfahren können.
Franca gab ich einen kurzen Bericht.
Am frühen Vormittag ritten wir zu dem Haus, das sich etwa eine Meile außerhalb der Neustadt befand. Ich hatte keine Mühe, es zu finden. Es war von uralten Kastanienbäumen umgeben. Das Haus selbst war alt und schien unbewohnt. Zu meinem größten Ärger hatte es vor einer halben Stunde zu regnen begonnen.
„Der Regen verwischt alle Spuren", knurrte ich wütend.
Ungehalten sprang ich aus dem Sattel und riß eine Pistole aus dem Gürtel.
Die Haustür hing halb in den Angeln. Das Haus war völlig leer. Eine dicke Staubschicht bedeckte den Boden. Aufmerksam untersuchte ich die Spuren. Die Abdrücke der riesigen Füße des Monsters waren zu sehen, aber es waren auch Stiefelabdrücke zu erkennen, die von einem mittelgroßen Mann stammen konnten.
Wütend schlug ich die Hände zusammen und ging schnaubend auf und ab.
„Dieses Haus ist seit vielen Jahren verlassen, Herr", stellte Franca fest.
„Du sagst es", brummte ich. „Hier kommen wir keinen Schritt weiter. Wenn es nicht regnen würde, hätten wir vielleicht eine Chance, Spuren im Garten zu entdecken."
„Bleibt noch das Haus in der Breiten Gasse", meinte Franca.
Ich nickte. Für mich war alles ziemlich klar. Irgend jemand befahl dem Golem, Mädchen zu rauben, die das Monster dann in dieses verlassene Haus brachte, wo sie von seinem Auftraggeber abgeholt wurden. Aber wer war der Auftraggeber? Wie so oft in meinem Leben, hatte ich meinen Gegner unterschätzt. Ich hätte nicht vergangene Nacht dem Golem folgen sollen, sondern das Haus beobachten müssen. Aber nachher ist man immer klüger.
Eine Stunde später betrat ich die königliche Burg hoch über der Moldau. Ich wollte zu David Gans. Er mußte wissen, wem das Haus in der Breiten Gasse gehörte.
Aber ich hatte wieder kein Glück. David Gans hatte gestern den Hradschin verlassen und sich ins Ghetto zum Gottesdienst in der Synagoge begeben. Den Sabbat verbrachte er immer im Judenviertel, doch niemand konnte mir sagen, bei wem.
Ich versuchte John Dee zu erreichen, doch sein Assistent Edward Kelley sagte mir, daß Dee nicht gestört werden durfte, da er ein wichtiges Experiment durchführte.
Mit einem Wort - der Tag war eine einzige Pleite.
Grollend kehrte ich in das Wirtshaus „Zu den zwei Katzen" zurück und nahm ein spätes Mittagessen ein. Ich hatte gerade den letzten Bissen hinuntergeschlungen, als Franca die Wirtsstube betrat. Er setzte sich an den Tisch. Mit dem Handrücken wischte ich mir den Mund ab und rülpste dazu laut. „Nun, was hast du erfahren, Franca?"
„Das entführte Mädchen heißt Hana Svagerka. Ihr Vater ist Hufschmied. Sie ist ein außerordentlich hübsches Mädchen und achtzehn Jahre alt. Wie Ihr Euch denken könnt, Herr, ist der Vater des Mädchens völlig verzweifelt."
Ich nickte. „Erzähle weiter, Franca!"
„Es gibt nicht viel zu erzählen", meinte mein Freund und Diener. „Das Monster tauchte völlig überraschend im Haus des Hufschmiedes auf. Seine Frau und die Tochter waren eben dabei, das Abendbrot zu bereiten. Da drang das Ungeheuer
Weitere Kostenlose Bücher