083 - Der Mann aus der Retorte
in die Küche ein, schlug die Mutter nieder und raubte das Mädchen. Der Vater stellte sich dem Monster entgegen, doch auch er wurde bewußtlos geschlagen." „Das hilft uns nicht weiter", brummte ich.
„Noch etwas, Herr", sagte Franca rasch. „Barbara Neumanns Leiche wurde gefunden. Sie wurde von einem Fischer aus der Moldau geholt."
Barbara Neumann war jenes Mädchen, das am Tag unserer Ankunft in Prag entführt worden war. Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten. Ich ärgerte mich, daß ich den Tod des Mädchens nicht hatte verhindern können.
Der Wirt stellte Franca einen Krug Bier hin.
„Wißt Ihr vielleicht zufällig, wer in der Breiten Gasse in dem Haus mit dem Löwen wohnt, Wirt?" „Mit dem Löwen?" Der Wirt blickte mich verwundert an. „Aber das weiß ja jeder. Der Rabbi Jehuda Loew ben Besalel."
„Danke", sagte ich geistesabwesend.
Das Haus wurde von einem Rabbi bewohnt. Das konnte passen.
„Noch etwas, Wirt. Welchen Ruf hat dieser Rabbi?"
„Einen ausgezeichneten, Herr. Der Rabbi Loew wurde sogar vor kurzer Zeit vom Kaiser, der sich von ihm die geheimnisvolle Kunst der Camera obscura vorführen ließ, empfangen. Er ist ein angesehener, gütiger Mann, Herr."
Schweigend nickte ich dem Wirt zu und widmete mich wieder meinem Bier.
Im Augenblick war es sinnlos, wenn ich ins Ghetto ging. Die Prager Juden waren streng gläubig; für sie war der Sabbat heilig; da ruhte alle Arbeit; keiner verließ sein Haus. Ich mußte bis zur Abenddämmerung warten. Dann wollte ich David Gans bitten, mich dem Rabbi vorzustellen.
Nachdenklich runzelte ich die Stirn. Ein Plan nahm langsam Gestalt an.
„Franca, du hörst dich bei der Familie Neumann um! Ich möchte wissen, wann das Mädchen begraben wird."
„Was habt Ihr vor, Herr?" erkundigte sich Franca mißtrauisch.
„Das wirst du noch rechtzeitig erfahren, Franca."
Franca stand langsam auf, warf mir einen langen Blick zu und verließ die Wirtsstube.
Ich blieb noch einige Minuten sitzen.
Zwei Stunden später war Franca zurück. Wir saßen auf meinem Zimmer, und ich hörte ihm zu.
„Die Familie Neuman ist vor fünf Jahren aus Köln nach Prag gekommen. Der Vater ist Buchdrucker. Das tote Mädchen wurde im Haus aufgebahrt. Morgen wird sie auf den St. Peter-und-Paul-Friedhof gebracht. Das Begräbnis soll übermorgen stattfinden."
„Du hast gute Arbeit geleistet, Franca", sagte ich zufrieden. „Ich habe noch eine Bitte an dich. Reite ins Judenviertel und suche David Gans! Sage ihm, daß ich ihn dringend sprechen muß."
„Wollt Ihr mir nicht endlich sagen, was Ihr vorhabt, Herr? Ich fürchte, Ihr seid eben im Begriff, eine große Dummheit zu begehen."
„Ich weiß ganz genau, was ich tue, Franca."
„Da bin ich mir nicht so sicher, Herr. Ich glaube, das viele tschechische Bier hat Euern Geist umnebelt."
„Hinaus mit dir!" sagte ich gutmütig.
Widerstrebend schritt er aus meinem Zimmer.
Ich stand auf und ging langsam auf und ab. Zuerst wollte ich mal mit David Gans und dem Rabbi Loew sprechen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß der Rabbi etwas mit den Entführungen der Mädchen zu tun hatte. Somit mußte ich den Mann finden, der dem Golem die Befehle erteilte. Und das würde schwierig sein. Ich hätte einfach vierzehn Tage warten können, aber in der Zwischenzeit würde wahrscheinlich Hana Svagerka tot sein.
Mein Plan war simpel. Barbara Neumann war tot. Es mußte mir nur gelingen, sie für wenige Minuten ins Leben zurückzurufen, dann würde sie mir den Namen ihres Mörders nennen.
Vor etwa zwanzig Jahren war ich dabeigewesen, als Dr. John Dee auf einem einsamen Friedhof einen Toten für einige Stunden erweckt hatte. Vor vierzehn Jahren war ich in Florenz von Enrico Vitelli gezwungen worden, seinen Vater ins Leben zurückzurufen. Ich hatte Erfolg damit gehabt, doch Vitellis Vater hatte sich gegen seinen Sohn gewandt und ihn erdrosselt. Nekromantie war eine der unheimlichsten Künste. Ein Meister auf dem Gebiet der Beschwörung der Toten war John Dee. Mit seiner Hilfe sollte es gelingen, die Tote zu erwecken.
Franca hatte David Gans gefunden. Gans war sofort zu mir gekommen. Wir blieben nicht in der Wirtsstube, sondern gingen auf mein Zimmer.
Ich erzählte David alles, was ich wußte, und je länger ich erzählte, um so bleicher wurde er.
„Ich kann es einfach nicht glauben", keuchte er, als ich meine Erzählung beendet hatte. „Das ist einfach unmöglich! Der Rabbi Loew würde niemals den Golem zu zerstörerischen Taten
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