0830 - Die vierte Inkarnation
Behandlungsraum. Da sah er ein anderes Wesen. Es stand mitten in dem benachbarten Raum und starrte ihn an.
Gahlmann warf sich herum und floh bis zu seinem Nest zurück. Am ganzen Körper zitternd, wartete er auf Anzeichen einer Verfolgung. Es blieb jedoch alles still. Nach mehreren Minuten wagte Gahlmann sich abermals bis zum Ausgang. Sein Hunger wurde immer mehr zum alles beherrschenden Gefühl, Vorsicht und Furcht ließen proportional dazu nach.
Er begab sich abermals in den anderen Raum hinüber.
Das Wesen war noch da. Obwohl es Gahlmann erneut ansah, schien es keine Angriffsabsichten zu hegen. Langsam schlich Gahlmann an ihm vorbei. Er ließ es nicht aus den Augen, denn er mußte immer noch damit rechnen, daß es plötzlich über ihn herfiel. Auch die Tatsache, daß das andere Wesen von seiner eigenen Art war, konnte Gahlmanns Mißtrauen nicht besänftigen. Abgesehen davon, daß es ein potentieller Konkurrent bei der Suche nach Futter war, handelte es sich außerdem noch um ein Männchen.
Gahlmann gelangte in einen Korridor.
Von dort aus konnte er einen Blick in einen anderen Raum werfen.
Der Anblick, der sich ihm bot, drohte ihn zu überwältigen.
Der Raum, der vor ihm lag, war von Artgenossen beiderlei Geschlechts überfüllt. Sie alle standen da und starrten zu ihm heraus.
Gahlmanns Lähmung hielt nur Sekundenbruchteile an, dann erfolgte eine Panikreaktion. Er floh in wilder Hast durch den Korridor. Dabei verlor er völlig die Beherrschung. Wahrscheinlich wäre er jedem Gegner blind in die Arme gelaufen. Der Korridor war jedoch verlassen.
Allmählich kam Gahlmann wieder zur Besinnung. Atemlos blieb er stehen und blickte sich nach allen Richtungen um.
Er war allein.
Er sehnte sich nach der warmen Geborgenheit seines Nestes, aber er wagte nicht, dorthin zurückzukehren. Das Bild des Raumes mit den vielen Wesen darin war noch frisch in seinem Gedächtnis.
Gahlmann warf den Kopf in den Nacken und schnupperte.
Niemand war in der Nähe. Sein Hunger meldete sich erneut.
Er drang tiefer in den scheinbar endlosen Korridor ein und nahm die Suche nach Nahrung wieder auf.
*
In der Zentrale der SZ-1 bot sich ein ähnliches Bild wie in allen anderen Räumlichkeiten der Kugelzelle, wo sich Besatzungsmitglieder aufhielten.
An den Kontrollen saßen Raumfahrer und rührten sich nicht. Auch der Emotionaut Senco Anrat hockte bewegungslos unter der SERT-Haube. Selbst wenn er gewollt hätte, er wäre im Augenblick unfähig gewesen, die SZ-1 zu beschleunigen.
Atlan, der zusammen mit Galbraith Deighton an einem Navigationstisch stand, war ebenfalls von BULLOCs mentalem Angriff überrascht worden und sah sich außerstande, irgend etwas zu tun.
Er wußte, was geschehen war. Sein Verstand arbeitete einwandfrei, aber er konnte keine Eigeninitiative aufbringen.
Wie alle anderen stand er da und wartete auf weitere Befehle der Inkarnation.
Er rechnete damit, daß sie erst den Anfang einer schrecklichen Entwicklung erlebt hatten, denn alles deutete darauf hin, daß BULLOC entschlossen war, das gesamte Schiff in seine Gewalt zu bringen.
Wozu? fragte sich Atlan niedergeschlagen.
Es war zu befürchten, daß BULLOC die SOL mit ihrer Besatzung vernichten wollte.
Da dröhnte die Stimme der vierten Inkarnation wieder aus den Lautsprechern des Interkoms.
Gleichzeitig verstärkte sich der mentale Druck in Atlans Bewußtsein.
„Ihr Menschen habt begriffen, daß ihr euch in meiner Gewalt befindet", donnerte BULLOC. „Niemand von euch wird es wagen, etwas gegen mich zu unternehmen. Ihr seid meine Diener. Jeder tut nur das, was für die Sicherheit des Schiffes wichtig ist. Ansonsten sind meine Befehle abzuwarten und zu befolgen. Sollte jemand auf den Gedanken kommen, etwas gegen mich zu unternehmen, wird er auf der Stelle das Bewußtsein verlieren. Aber dazu wird es nicht kommen, denn mein Wille beherrscht euch."
Atlan fühlte, daß die körperliche Lähmung von ihm abfiel. Er konnte sich wieder bewegen. Auch die anderen Besatzungsmitglieder in der Zentrale regten sich wieder.
Gleichzeitig erkannte der Arkoni-de, daß ihm mit der Bewegungsfreiheit sein freier Wille nicht zurückgegeben wurde. Er konnte sich nicht dazu aufraffen, an den Interkom zu gehen und Befehle für einen Angriff auf die Inkarnation zu geben.
Er blickte zu Deighton hinüber, der schmerzlich das Gesicht verzog.
„Nun ist es passiert!" stellte der Gefühlsmechaniker fest. „Die Inkarnation hat zurückgeschlagen und uns überrumpelt."
Atlan
Weitere Kostenlose Bücher