0837 - Aibon-Blut
stammte, für das es keine Erklärung gab, das irgendwo zwischen Himmel und Hölle lag.
Der Mittelteil des Körpers war nicht mehr vorhanden. Zwischen Brustbein und Unterleib klaffte inzwischen ein riesiges Loch. Es war auch nicht mit grünem Licht gefüllt, es war einfach da, und an seinen Rändern zitterte es weiter. Bei jedem Zittern breitete es sich aus, es sank nach unten und begann damit, die Oberschenkel verschwinden zu lassen. Es folgten die Knie, die Waden, letztendlich die Füße.
Das war nicht alles, denn die unerklärliche Kraft verteilte sich gleichzeitig zur anderen Richtung hin. Die Arme verschwanden, der Rest der Brust ebenfalls, und als die Melodie plötzlich verstummte, lag nur mehr der Kopf der Gestalt auf dem kalten Boden, wobei kein Tropfen Blut geflossen war.
Harry Stahl war gespannt darauf, wie es weiterging. Er atmete tief ein, um eventuell schreien zu können, doch er blieb stumm, als er eine zweite Person näher kommen hörte. War es der Flötenspieler? War er der Lebensretter, oder würde ihm das gleiche Schicksal bevorstehen wie dieser grauen Gestalt? Harry schwankte zwischen Hoffen und Bangen.
Er sah ihn nicht, doch er hörte, daß er über den Steinboden schritt, fast so leise wie der Mann in Grau.
Harry hatte sich hingestellt und an einem Ruinenstück Halt gefunden. Seine rechte Hand lag auf dem Rand der niedrigen Mauer. Er spürte schon, wie die Finger und auch der Arm in der Beuge zitterten, und als er nach links schaute, sah er endlich den Schatten.
Es war ein Mann, der geflötet hatte.
Sein Instrument hielt er noch in den Händen. Es warf vor den Fingern einen schmalen Schatten, vergleichbar mit der Länge eines Zigarillos. Leider war es zu dunkel, um den Mann genau erkennen zu können, aber die ungewöhnliche Kleidung fiel Harry schon auf. Setzte sie sich aus Lumpen zusammen, die nicht richtig zusammengenäht worden waren? Jedenfalls bewegte sie sich nur bei den Schritten, auch der Wind spielte mit den Stoffetzen.
Der Ankömmling interessierte sich überhaupt nicht für Harry. Er wandte sich dem Rest zu, der von dem Mann in Grau zurückgeblieben war, dem einsam daliegenden Kopf.
Er schaute ihn an.
Harry riskierte es und ging so weit vor, bis auch er das Gesicht trotz der Dunkelheit besser erkennen konnte. Das grüne Leuchten lag noch in den Augen, aber es hatte sich abgeschwächt und war nicht mehr als ein leichtes Glimmen.
Was würde geschehen?
Harry wartete zitternd. Daß er überhaupt noch zitterte, lag an seiner eigenen inneren Spannung.
Furcht verspürte er nicht mehr. So seltsam der Flötenspieler auch aussah, er hatte ihm das Leben gerettet und flößte ihm Vertrauen ein.
Der Kopf konnte sprechen. Ruckartig bewegte sich dabei der Mund. Ein Wort nur preßte er hervor.
»Du…«
»Ja, ich.«
»Der Rote Ryan.«
»Ich wußte doch, daß ihr nicht aufgeben wolltet. Du nicht und auch deine Artgenossen nicht. Es kann und darf für euch keine Niederlage geben. Ihr wollt euch immer das zurückholen, was euch einmal gehört hat. Aber nicht mit mir, nicht mit uns, dem wahren Aibon. Ich habe meine Augen offengehalten, für mich ist der Weg in diese Welt nicht versperrt, und ich möchte nicht, daß es wieder Tote gibt. Ihr sollt sie in Frieden lassen, verstanden?«
Aus dem Mund drang ein Lachen. »Nein, nie. Wir werden sie finden. Ich nicht mehr, aber andere.«
»Auch deine Freunde können sich vor mir nicht verstecken.«
»Du kannst nicht überall sein.«
»Das stimmt. Aber ihr wißt nicht, wo sich die drei versteckt halten. Das ist unser Vorteil. Ihr müßt euch an die wenden, die mit ihnen zu tun hatten. Ich weiß, daß ihr bei dem schwächsten Glied in der Kette begonnen habt, aber das nächste wird stärker sein, denke ich. Ich glaube nicht, daß ihr mächtiger seid als der Geisterjäger…«
Harry Stahl hatte genau zugehört. Als der Begriff Geisterjäger gefallen war, hatte er das Gefühl gehabt, von einem Stromstoß durchzuckt zu werden.
John Sinclair!
Himmel, sein Name war gefallen!
Er schluckte, obwohl der Mund trocken war. Das durfte doch nicht wahr sein! Das war nicht zu fassen. Das war… Himmel… das war einfach verrückt!
»Auch ihn bekommen wir!«
»Du nicht mehr!«
»Wir sind bereits dabei.«
Der Rote Ryan nickte. »Ich kann es mir denken, aber über John Sinclair brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Ich weiß, daß es gewisse Dinge gibt, die ebenso stark sind wie die schlimme Seite des Landes Aibon. Sie heben sich auf, und ich weiß
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