0837 - Aibon-Blut
Wagen nach mir verlassen hatte, einer konnte oder mußte es sein.
Langsam ging ich weiter. Allerdings nicht auf die Treppe zu, ich wollte noch ein wenig in der Unterwelt bleiben. Ich bewegte mich zum Ende des Bahnsteigs hin, wo der dunkle Tunnelschlund gähnte.
Am liebsten wäre es mir gewesen, einfach hineinzusteigen. Das war wegen der Video-Überwachung schlecht möglich. Ich wäre zu schnell aufgefallen.
Ziemlich einsam blieb ich stehen. Die schmutzigen Kacheln, die einmal gelb gewesen waren, zeigten ein graues Grundmuster. Darauf hatten irgendwelche »Künstler« bestimmt Sprüche gesprayt, die ich nicht las, sondern nur an meinen Augen vorbeifliegen ließ.
Gefahr!
Es war wie ein elektrischer Schock, der mich erwischte. Die Haut auf meinem Rücken zog sich zusammen, ich merkte plötzlich, wie selbst meine Füße eine Gänsehaut bekamen, und ich drehte mich langsam im Kreis, die Hand leicht angehoben, um schnell an die Waffe zu gelangen.
Es war niemand da.
Trotzdem sah ich etwas.
Es war ein Schatten auf einer Wand. Er war nicht schnell, er ließ sich Zeit, er war zunächst auch unförmig, aber er nahm, je näher er kam, immer mehr Form an, so daß ich eine menschliche Gestalt sah.
Ein Schatten, der mich bedrohte! Deshalb hatte ich ihn nicht sehen können.
Leider war es auch jetzt nicht greifbar. Er schien zwischen zwei unterschiedlichen Welten zu kleben, und ich hörte eine laute, dennoch wispernde Stimme.
»Wir sind allein, John Sinclair…«
***
Okay, er kannte meinen Namen. Ich wußte nicht, wer er war. Ich ließ ihn nicht aus den Augen, was nicht schwierig war, denn er bewegte sich nicht mehr.
Dieser Schatten wurde von keiner Person geworfen, also mußte er von sich aus existieren, und das war mehr als rätselhaft. Ich dachte noch immer über die Antwort nach und nickte vor mich hin.
»Gut, du hast dir meinen Namen merken können. Ich aber möchte gern wissen, wer du bist.«
Er gab mir eine Antwort. Nur anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. »Vater, Mutter, Satanskind…«
Drei Begriffe, die mir die Augen öffneten. Sofort dachte ich zurück und erinnerte mich an dieses uralte Hotel im Südosten Deutschlands, in dem die Satansjünger gehaust hatten. Es lag schon eine Weile zurück, trotzdem konnte ich mich noch sehr gut an diesen Fall erinnern, besonders an das blonde Mädchen Pamela, das ich praktisch aus den Klauen der Satansjünger gerettet hatte. Auch ihre Eltern, die aus Aibon verbannt worden waren, hatten gerettet werden können, nur war es mir nicht gelungen, den Geist des Aleister Crowley zu zerstören.
Vater, Mutter, Satanskind - so hatte mich der Schatten angesprochen. Wenn ich näher darüber nachdachte, dann konnte dieser Schatten eigentlich nur mit der Welt zu tun haben, aus der Delia und Darius verbannt worden waren.
Dieser Schatten paßte zu Aibon, denn er gehörte zu den Gestalten, die einen bestimmten Namen hatten und mit gefährlichen Waffen ausgerüstet worden waren.
Zu den Männern in Grau!
Wenn das alles stimmte, mußte er der Verfolger gewesen sein, dann hatte mich mein Gefühl nicht getrogen.
Ich blieb die Ruhe selbst, auch wenn ich den Schatten nicht aus den Augen ließ. »Gut, ich habe deine Botschaft verstanden«, sagte ich mit leiser Stimme. »Allein, was soll sie bedeuten?«
Wieder erreichte das Flüstern meine Ohren. Es schien direkt aus der Wand zu dringen. »Wir wollen wissen, wo sie sich befinden? Vater, Mutter und Kind.«
»Da fragst du mich?«
»Ja, du warst dabei.«
»Stimmt, und ich freue mich noch jetzt darüber, daß ich eingegriffen habe, aber ich kann dir nicht sagen, wo sie sich versteckt halten. Ich weiß es nicht. Die drei sind ihren eigenen Weg gegangen, ohne mich zu fragen. Reicht das?«
»Nein.«
»Was willst du noch?«
»Sie.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, ich habe keine Ahnung. Ich war und ich bin nicht ihr Kindermädchen. Aber ich will in Ruhe gelassen werden.«
Die Gestalt in Grau dachte gar nicht daran. Ihre Umrisse in der Wand bewegten sich. Für mich sah es so aus, als würden sich die Steine zusammenziehen und an einer bestimmten Stelle schmaler werden, das mochte der Fall gewesen sein, jedenfalls nahm der Schatten eine dreidimensionale Form an und blieb vor mir stehen.
Jetzt war er da, der Mann in Grau!
Graue Kleidung, ein graues Gesicht, aber grünlich schimmernde Augen, der einzige Hinweis auf Aibon, auf das Land der Druiden. Ich konzentrierte mich weniger auf die Augen, dafür mehr auf seine Hände,
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