084 - Medusenblick
Jahr lang hatte es so ausgesehen, als würde er nur noch das Anwesen des Industriellen verwalten können.
Tucker Peckinpah berichtete dem Gnom, was er soeben erfahren hatte. Der Knirps sprang auf und preßte einen Pfiff durch die Zähne. »Phorkys! Das könnte Phorkys, der Vater der Ungeheuer, gewesen sein. Man hat lange nichts von ihm gehört, doch nun scheint ihn die Hölle hier wieder in die Schlacht zu werfen. Es kann kein Zufall sein, daß Phorkys ausgerechnet jetzt auftaucht.«
»Der Meinung bin ich auch«, sagte der Industrielle mit schmalen Augen.
»Mich würde es nicht wundern, wenn er den Auftrag hätte, den Exorzismus zu verhindern. Wir müssen sofort etwas unternehmen.«
Peckinpah musterte den Gnom. »Haben Sie einen Vorschlag? Soll ich Mr. Silver verständigen?«
»Wenn Sie erlauben, besorge ich das persönlich.«
»Einverstanden«, sagte der Industrielle. »Sie können meinen Wagen nehmen.«
»Danke«, sagte der Knirps und eilte aus dem Raum. Er holte seinen Ebenholzstock, der nicht im entferntesten wie eine Waffe aussah, aber eine war, und wenig später saß er - verschwindend klein - im großen silbernen Rolls-Royce und war nach Paddington unterwegs.
***
Der Polizeiarzt schüttelte den Kopf. »Das ist nicht mein erster Schlangenbiß. Ich hatte kurze Zeit in der Nähe von Dartmoor eine Praxis. Mindestens einmal in der Woche hatte ich dort einen Schlangenbiß zu behandeln, aber keiner war wie dieser. Sehen Sie sich die Wundränder an, Inspektor Bogarde. Die sind nicht rot, sondern grün.«
Jetzt sah sich auch Roderick Luxon die Bißwunden genauer an. »Tatsächlich, Doc«, sagte er überrascht. »Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Meinen Sie, daß das ein schlechtes Zeichen ist? Ob es doch Giftschlangen waren?«
»Das glaube ich nicht. Das Gift der meisten Schlangen wirkt sehr schnell und ist oft äußerst schmerzhaft«, antwortete der Polizeiarzt.
»Kann es sich um Schmutz handeln?« fragte Sterling Wasson.
»Sie meinen grünen Schmutz?« fragte Luxon.
»Grüne Farbe«, sagte Wasson. »Sie könnte die Wunden verunreinigt haben.«
»Sind Sie gegen Wundstarrkrampf geimpft?« wollte der Polizeiarzt wissen.
Roderick Luxon nickte.
»Wann wurden Sie geimpft?«
»Vor zwei Jahren«, antwortete Luxon.
»Dann ist alles okay. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, sagte der Polizeiarzt. »Ich werde Ihnen aber sicherheitshalber eine Injektion geben, damit auf gar keinen Fall etwas passieren kann.«
Er bereitete die Spritze vor. Roderick Luxon wurde merklich nervös. Sein Atem ging schneller, und sein Gesicht überzog sich mit ungesunder Blässe.
Sterling Wasson fiel das auf. Er nahm an, Luxon hätte Angst vor Injektionen. Vielen Menschen erging es so. Manche fielen gar in Ohnmacht, wenn sie auch nur einen Tropfen ihres eigenen Blutes sahen. Vielleicht war Luxon einer von dieser Sorte.
Als der Polizeiarzt die Einstichstelle mit Wundbenzin säuberte, zitterte Luxon.
»Sie werden es kaum spüren«, sagte der Doktor, um den Mann zu beruhigen.
So aufführen muß man sich wirklich nicht, dachte Wasson, als er sah, wie Luxon das Gesicht verzerrte. Ihm kam vor, als wäre der Mann innerhalb weniger Minuten um mindestens zehn Jahre älter geworden. Da waren Fältchen um die Augen, die es vorhin noch nicht gegeben hatte. Und dunkle Schatten hingen an den Lidern. Die Pupillen hatten sich sichtbar vergrößert. Der Blick nahm einen starren Ausdruck an.
Der Polizeiarzt setzte die Kanüle an, stach sie zwischen den beiden Bißwunden ins Fleisch und drückte auf den Kolben. Er injizierte das Serum langsam. Manche Menschen kollabierten, wenn sie eine Injektion zu schnell bekamen.
»So«, sagte der Doktor dann und zog die Kanüle heraus. Die Einwegspritze warf er in den Papierkorb. »Es ist schon vorbei. Es wäre gut, wenn Sie die Hand heute und morgen nicht bewegen würden. Sie tragen den Arm am besten in der Schlinge.«
Der Arzt verband die Hand und fertigte aus einer elastischen Binde eine Schlinge an, die er Luxon um den Hals hängte.
»Danke, Doc«, sagte Luxon heiser. Er wandte sich an den Inspektor. »Sie haben immer noch nichts unternommen, Sir. Darf ich fragen, worauf Sie warten? Bis man Ihnen meldet, wo das erste Opfer liegt?«
Der Polizeiarzt schloß seine Bereitschaftstasche. Efrem Bogarde überlegte, was sich unternehmen ließ. Er wollte sich nicht lächerlich machen. Andererseits konnte er die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen, denn irgend etwas mußte an dieser
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