084 - Medusenblick
existiert. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich davon überzeugt, daß das Ungeheuer Menschen töten wird. Vielleicht hat es das bereits getan. Schicken Sie Ihre Männer los. Es ist Ihre Pflicht, die Menschen zu schützen.«
»Vor Verbrechern - ja. Aber vor Ungeheuern? Was soll ich denn gegen ein Monster unternehmen?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß es zu einer Katastrophe kommen wird, wie wir sie noch nie erlebt haben, wenn Sie das Scheusal nicht jagen und zur Strecke bringen.«
Efrem Bogarde streckte die Hand nach dem Telefonhörer aus, doch dann blieb sie plötzlich in der Luft hängen, denn einer seiner Männer brüllte wie am Spieß nach ihm.
***
Boram sah den schwarzen Umhang über das Dach wischen und zwischen den Waggons verschwinden. Was weiter mit dem Dämon passierte, konnte er nicht verfolgen.
Aber er wollte von Phorkys noch nicht ablassen, deshalb sprang er auf das breite Eisengeländer und wollte gleichfalls auf den Zug springen, doch soeben ratterte der letzte Waggon unter ihm durch.
Das dumpfe Poltern wurde schwächer und verlor sich in der Ferne. Die hinteren Positionslichter des Zugs wurden von der Dunkelheit aufgesogen.
Nichts war mehr zu sehen, nichts zu hören. Stille herrschte, und Boram sprang enttäuscht auf die Brücke zurück. Er hätte gern mehr schwarze Energie in sich aufgenommen.
Ein Ruck ging plötzlich durch die Dampfgestalt. Was war das, dieser schwarze Fleck dort zwischen den Schienen? War es Phorkys, von den Waggons überrollt?
Lag dort der Vater der Ungeheuer?
Das wollte der Nessel-Vampir genau wissen, deshalb verließ er die Brücke. Als er die Stufen hinunterstieg, vernahm er das aufgeregte Hecheln eines Hundes.
Er erweiterte den Dampf sogleich, um sich weitgehend durchsichtig zu machen. Eine Frau erschien. Sie war in eine alte hüftlange Jacke gehüllt und hatte Dutzende Lockenwickler auf dem Kopf.
Immer wieder ermahnte sie das Tier, doch nicht so verrückt an der Leine zu zerren. Sehr ärgerlich war sie schon, aber der Hund gehorchte nicht.
Keuchend zog er die Frau vorwärts, obwohl sie nicht gewillt war, so schnell zu gehen. Sie mußte einfach. Sie stolperte und wäre um ein Haar gestürzt.
Zornig riß sie das Tier zurück. »Jetzt reicht es!« schrie sie den Hund an. »Es reicht wirklich! Soll ich mir deinetwegen die Beine brechen? Du, ich schlag' dich tot, wenn du mir nicht gehorchst! Verfluchter Köter!«
Boram wich zur Seite, um Frau und Hund vorbeizulassen. Doch das Tier witterte ihn mit seiner empfindlichen Spürnase und verbellte ihn.
Da die Frau nichts sah, mußte sie denken, der Hund - ein schöner irischer Setter mit seidig glänzendem Haar war es - wäre übergeschnappt.
»Still!« befahl sie ihm. »Kusch! Wirst du wohl aufhören!«
Als der Hund weiterbellte, schlug sie ihn so lange mit der Leine, bis er winselte.
»Ich habe dich gewarnt«, sagte sie, wohl zu ihrer Entschuldigung. »Wer nicht hören will muß fühlen.«
Sie ging weiter, und diesmal mußte sie den Hund ziehen.
Ein Gitterzaun sollte verhindern, daß jemand hier unten die Geleise überquerte. Boram konnte der Zaun nicht aufhalten. Die Dampfgestalt schwebte durch die Zwischenräume.
Da sich Boram in dichterer Konsistenz wohler fühlte, zog der Dampf sich wieder zusammen, und er wurde sichtbar. Argwöhnisch und auf Abwehr eingestellt, näherte er sich jenem schwarzen Fleck zwischen den Schienen.
Je näher er der betreffenden Stelle kam, desto langsamer bewegte er sich vorwärts.
Er setzte seinen Fuß von einer Schwelle auf die andere und erreichte kurz darauf jenen schwarzen Fleck. Es handelte sich um Phorkys' Umhang. Ob er ihn verloren hatte, oder ob sein grauenerregender Körper darunter lag, war nicht zu erkennen.
Der Nessel-Vampir bückte sich deshalb und berührte den Stoff. Vorsichtig hob er den Zipfel hoch. Da vernahm er ein geisterhaftes Zischen und Knistern, das ihn veranlaßte, den Stoff sofort loszulassen. Und dann beobachtete er, wie kleine Funken und weiße Blitze fächerförmig über den Stoff sausten und diesen in Gedankenschnelle auflösten.
Von Phorkys fehlte jede Spur.
***
Inspektor Bogarde sprang auf und eilte aus dem Büro. Sterling Wasson wußte nicht, warum er ihm folgte, schließlich wurde ja nicht nach ihm gebrüllt. Er tat es einfach, weil er befürchtete, das Geschrei könnte etwas mit Roderick Luxon zu tun haben, und für seinen Fahrschüler fühlte er sich irgendwie verantwortlich.
Vor der Ausnüchterungszelle stand
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