0840 - Das Drachenmädchen
denn?«
»Alles.«
»Das ganze Gebäude also?«
»Leider ja.«
»Nicht eben rosige Aussichten«, erwiderte Shao, ging zwei Schritte vor und verließ als erste den Lift.
Madame Chu folgte, Suko bildete das Schlußlicht. Er glaubte daran, daß Madame Chu mit ihren letzten Worten nicht übertrieben hatte…
***
Die drei waren im Gang stehengeblieben und schauten in einen langen Flur, der aussah wie viele andere auch. Es gab keine ungewöhnlichen Merkmale, abgesehen von der etwas trüben Beleuchtung, die aber reichte für die Nacht aus.
Zudem war es still, und Suko dachte nach. »Hat Jasper Kent nicht davon gesprochen, daß hier noch gearbeitet wird?« fragte er mehr zu sich selbst gewandt.
»Hat er«, sagte Shao.
»Ich höre nichts.«
»Er kann sich geirrt haben.«
Suko hob die Schultern. »Egal, wie dem ist, wir sollten uns zunächst die Büros anschauen. Oder?«
»Nein.« Madame Chu schüttelte den Kopf. »Ich bin zwar nicht dagegen, aber nicht zu diesem Zeitpunkt und auch nicht alle, denn das käme einer Zeitverschwendung gleich. Zudem möchte ich herausfinden, ob sich das Drachenmädchen hier im Flur oder in der Nähe aufhält.«
»Das schaffen Sie?«
Die ältere Frau lächelte schmerzlich. »Ich hoffe es sehr.« Sie legte ihren Koffer flach auf die Erde und bückte sich. Dann öffnete sie den Deckel. Suko und Shao konnten einen Blick auf den Inhalt des Koffers werfen.
Beide wunderten sich. In mehreren durchsichtigen Tüten waren Pulver verpackt, die samt und sonders unterschiedliche Farben aufwiesen. Sie lagen in kleinen, oben offenen Holzkästchen, aber diese Tüten packte Madame Chu nicht an.
Sie schlug ein Tuch zurück und holte eine kleine Puppe aus dem Koffer, die neben einigen seltsamen Figuren gelegen hatte und zweifelsohne eine Frau darstellte.
»Wer oder was ist das?« fragte Suko. »Eine Art von Voodoo-Puppe?«
»So ähnlich.« Madame Chu gab keine weiteren Erklärungen ab, was Suko nicht gefiel.
»Wer soll die Puppe sein? Etwa das Drachenmädchen?«
»In der Tat.« Madame Chu richtete sich wieder auf, die Puppe in der rechten Hand haltend.
»Woher haben Sie es?«
Madame Chu räusperte sich. »Das ist eine lange Geschichte. Es gibt hier in der Umgebung zwei Trödler, die all die Figuren verkaufen, die den in Umlauf befindlichen Geistern am ähnlichsten sind. Das hier ist das Drachenmädchen. Sie haben es ja gesehen. Schauen Sie es sich noch einmal an. Würden Sie es erkennen?«
Suko runzelte die Stirn. Auch Shao war näher herangetreten. Von verschiedenen Seiten blicken sie auf die Puppe, und es war Shao, die den Kopf schüttelte. »Nein, eigentlich nicht. Es ist ein bearbeitetes Stück Holz, das eine Frau zeigt.«
»Richtig. Es wurde nicht nur bearbeitet, sondern auch behandelt. Ein Kenner der Drachenmagie hat sich mit der Puppe beschäftigt und diesen Holzkörper mit dem Blut eines getöteten Drachen getränkt. Wenn wir die Puppe aufstellen, wird Li Warren merken, das hier etwas Bestimmtes vorhanden ist. Dann wird sie hoffentlich kommen und nachschauen.«
»So einfach ist das?« Suko hatte Zweifel.
»Sagt man.«
»Dann haben Sie es noch nicht ausprobiert?«
»Nein. Heute habe ich eine Premiere. Ich bin auch nie dazu gekommen. Wie ich Ihnen schon sagte, man hat mich leider nicht in das Haus gelassen. Sie müssen sich schon auf die Kraft der Puppe verlassen, Suko.«
»Das sehe ich mittlerweile auch so. Eine andere Frage. Wo wollen Sie die Puppe aufstellen? Hier im Flur lassen,«
»Nein, auf keinen Fall. Wir locken das Drachenmädchen in eines der Büros. Außerdem wollten wir nachschauen, wer sich hier oben aufhält. Hier soll doch gearbeitet werden.«
»Ich höre nichts«, sagte Shao.
»Das ist in der Tat seltsam.« Madame Chu nahm ihren schmalen Aktenkoffer und bewegte sich nach vorn. Sie ging sehr langsam, bewegte nicht nur ihre Beine, sondern auch ihren Kopf und schaute stets gegen die Türen an den verschiedenen Seiten.
Zu sehen bekam sie nichts Ungewöhnliches. Keine Tür stand offen. Es sickerte auch unter keiner Licht in den Flur. Suko versuchte es trotzdem. Er fand drei Türen abgeschlossen, die vierte war offen. Er machte Licht und schaute in ein leeres Büro.
»Das hat ja keine Fenster«, sagte Shao, die hinter ihrem Freund stand. »Himmel, hier möchte ich nicht arbeiten.«
»Ich auch nicht.« Suko zog die Tür wieder zu. Er schaute dorthin, wo Madame Chu stand. Sie hielt sich vor einer Bürotür auf und hatte ihre Tasche abgestellt. Die Puppe steckte in
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