0840 - Das Drachenmädchen
Chinesin nickte. »Das wäre vielleicht am besten. Möchten Sie beide den Anfang machen? Oder hoffen Sie auf die geringe Chance, die sich immer bietet?«
»Ja. Wir wissen, daß sich in diesem Haus eine Mörderin aufhält. Wir wissen ferner, daß sich diese Mörderin sehr gut auskennt und daß sie über außergewöhnliche Kräfte verfügt. Was haben wir ihr entgegenzusetzen?« fragte Shao.
Suko lächelte. »Wir haben das Gesicht der Li Warren in der Hauswand gesehen, an dem Platz also, der für ein freies Durchkommen der Geister gelassen wurde. Durch diesen Ort wird es dem Drachenmädchen immer wieder gelingen, aus dem Haus zu schlüpfen oder es wieder zu betreten. Sie hat, wenn sie hier ist, das gesamte Gebäude unter Kontrolle. Vom Keller bis zum letzten Stockwerk gehört es ihr. Und sie hat es zudem verstanden, es zu manipulieren. Was bedeutet schon Technik, Strom in diesem Fall, wenn es um Kräfte geht, die es schon seit Jahrhunderten auf dieser Welt gibt? Die sehr alt sind, die auch gelernt haben, sich anzupassen. Das alles müssen wir bedenken, und im Nachhinein bleibt uns nur die Resignation übrig, oder wir müssen schlauer sein als unsere Gegner. Dafür haben wir uns entschieden.«
»Das stimmt!« erklärte Shao mit fester Stimme.
Madame Chu blickte ihr ins Gesicht. Das wäre nicht außergewöhnlich gewesen, aber der Ausdruck in ihren dunklen Augen störte Shao schon ein wenig. Sie fühlte sich unbehaglich, und sie hatte tatsächlich das Gefühl, als wollte diese Person bis hinein in ihre Seele schauen, um dort etwas auszuforschen. Sie wollte eine Erklärung haben und fragte: »Was ist? Habe ich etwas an mir?«
»Nein, das ist es nicht.«
»Was dann?«
»Ich werde aus Ihnen nicht schlau, Shao. Da bin ich ehrlich. Ich komme mit Ihnen nicht zurecht. Da steckt etwas in Ihnen, das ich möglicherweise mit dem Begriff Seele umschreiben kann, ohne daß sie es direkt ist. Es kann auch eine Kraft sein, von der sie möglicherweise selbst nicht wissen.« Madame Chu hob die Schultern. »Sehen Sie, ich bin so etwas wie ein Medium, ein sehr sensitiver Mensch. Aus diesem Grunde merkte ich, daß auch von Ihnen etwas ausgeht, das ich nicht als normal bezeichnen möchte. Sie sind mir ein Rätsel«, gab sie zu.
»Welches?«
»Ich weiß es nicht. Dazu müßte ich sie näher kennen. Sie sind nicht wie die anderen Menschen. Möglicherweise haben Sie einen anderen Lebensweg hinter sich. Das alles ist jedoch die reine Spekulation, denke ich mal. Oder irre ich mich stark?«
»Nein, das nicht. Es gibt tatsächlich eine Kraft in mir, die andere Menschen nicht haben.«
»Aber sie ist nicht negativ.«
»Danke«, erwiderte Shao lächelnd.
»Deshalb gehe ich davon aus, daß wir gemeinsam eine Chance haben, obwohl es sehr schwer sein wird. Darüber müssen wir uns klar sein. Das Drachenmädchen zu besiegen, wird nicht leicht sein. Es ist hier, es hält sich noch zurück, es hat dafür gesorgt, daß dieses Haus seine Insel wird. Li Warren hält es fest. Es sind seine Kräfte, die das Haus umschließen, und sie werden sich auch irgendwann gegen uns richten. Davon gehe ich ebenfalls aus.«
»Was wollen Sie dann tun?« Madame Chu schaute zuerst auf den Koffer, anschließend nahm sie die Holzfigur aus der Tasche. »Das ist sie. Das ist Li Warren.«
»Aber sie ist nur eine Figur, nicht mehr«, warf Suko ein.
»So kann man es sehen«, gab sie zu. »Es hat schon zu allen Zeiten gewisse Gegenkräfte gegeben, und ich hoffe, diese Figur als Lockmittel einsetzen zu können. Ich will Li einen Bezugspunkt geben. Sie soll herkommen, und dann können wir sie stellen.«
»Wird Sie erscheinen, wann wir es wollen?«
»Bestimmt.«
»Warum?« fragte Suko.
»Weil sie ihre Feinde vernichten will. Und die Feinde sind nun mal wir, denke ich.«
»Und was, Madame Chu, wollen Sie konkret unternehmen?«
Die Chinesin runzelte die Stirn. »Ich weiß es nicht genau, aber ich weiß, wie ich beginnen werde. Es muß mir gelingen«, sie sah sich dabei um, »eine Verbindung zu diesem Durchgang in der Hauswand herzustellen. Das ist ihr Weg, das ist ihr Tor, das genau das ist der mächtige Tunnel.«
»Den Sie auch benutzen wollen?«
»Nicht gern. Es könnte jedoch sein, daß mir letztendlich nichts anderes übrigbleibt.«
»Und wo würden Sie hingelangen?«
Madame Chu hob die Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Es ist mir einfach ein Rätsel. Besser ausgedrückt, eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten, aber ich werde das Ergebnis noch herausbekommen,
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