0840 - Das Drachenmädchen
darauf können Sie sich verlassen.«
»Wie wollen Sie anfangen?«
Madame Chu lächelte. »Darf ich Sie bitten, mich allein zu lassen?«
»Weshalb?«
»Ich darf nicht gestört werden.«
Shao und Suko waren nicht eben begeistert, doch die ältere Frau zerstreute ihre Bedenken. »Ich verspreche Ihnen, daß ich mich gut halten werden. Ich bin keine Anfängerin. Ich habe Dinge in Bewegung gesetzt, die nicht ohne Eindruck auf die andere Seite geblieben sind.« Sie schaute zur Wand, als könnte sie das Mauerwerk schon jetzt mit ihren Blicken durchdringen. »Ich denke schon, daß ich dort fündig werde«, sagte sie mit leiser Stimme.
»Haben Sie denn Kontakt?«
»Noch nicht. Ich denke schon, daß es kein Problem werden wird. Darüber werden wir reden, wenn es soweit ist.«
Suko lächelte verkrampft. »Sie sind der Boß, Sie sind…«
Plötzlich verlöschte das Licht, und die Dunkelheit legte sich wie ein dichtes Tuch über den Raum…
***
Die Veränderung war so plötzlich gekommen, daß es den dreien die Sprache verschlagen hatte. Ob es jemand mit der Angst zu tun bekam, war nicht festzustellen, jedenfalls rührte sich keiner von ihnen von der Stelle. Nur an den Atemgeräuschen war zu hören, wo sie standen, und es war Madame Chu, die das Schweigen unterbrach. »Das Drachenmädchen weiß genau Bescheid. Li ist längst darüber informiert, daß wir uns in der Nähe aufhalten. Jetzt will sie ihre Stärke zeigen.«
»Spüren Sie das Mädchen?« fragte Suko.
»Ja und nein«, klang die Antwort aus dem Dunkel. »Ich merke nur, daß sich etwas verändert hat, was nicht ausschließlich mit der Dunkelheit zu tun hat.«
»Was ist es?«
»Lis Nähe. Ihre Unsichtbarkeit. Ihr Geist. Vergeßt nie, daß wir es mit keinem normalen Menschen zu tun haben, sondern mit einem feinstofflichen Wesen. Das muß uns immer wieder klar sein. Wir können nicht, auch wenn sie sich in der Nähe aufhält, die Arme ausstrecken und sie anfassen. Das ist nicht möglich. Wir würden sie nur spüren, aber sie nicht anfassen können.«
Suko wollte nicht im Büro bleiben. »Ich werde mal im Flur nachschauen, ob die Beleuchtung dort auch ausgefallen ist.«
»Das weißt du doch«, sagte Shao. »Sonst hätten wir den Streifen unter der Tür herfallen sehen.«
Er hielt bereits die Klinke fest. »Trotzdem muß ich einfach nachsehen, Shao.«
Sie wußte genau, daß etwas anderes dahintersteckte. Allerdings hielt sie sich mit einem Kommentar zurück. Suko öffnete die Tür. Seine freie Hand lag auf dem Griff der Dämonenpeitsche. Er wollte gewappnet sein, wenn ihm plötzlich das Drachenmädchen gegenüberstand, was nicht ausgeschlossen war.
Auch über den Flur hatte sich die Finsternis gesenkt. Es war nicht die berühmte Hand vor Augen zu sehen. Einschwarzer Tunnel, dessen Ausmaße nicht zu erkennen waren.
»Siehst du was?«
»Nein, Shao.« Suko wollte Licht haben. Er holte die kleine Bleistiftleuchte aus der Tasche, und sie funktionierte. Der helle Lichtfinger schnitt einen Streifen in die Schwärze, und als Suko seinen Arm senkte, bewegte er sich über den Boden, als wollte er in der Unendlichkeit versickern. Li Warren zeigte sich nicht.
Suko kehrte wieder. Das Licht ließ er leuchten. Er wollte nicht in dieser pechschwarzen Finsternis stehen, in der wirklich nichts zu sehen war. Es lag auch daran, daß es in diesem Raum keine Fenster gab.
Das Licht huschte auch über Madame Chus Gesicht. Die Haut war bleich und zugleich angespannt.
Fest hielt die Frau die Lippen aufeinandergepreßt. Suko leuchtete Shao an. Bei ihr fiel ihm etwas auf. Sie stand unter einem immensen Streß, was sich anhand des dünnen Schweißfilms abzeichnete, der ihr Gesicht bedeckte.
»Ist etwas?«
Shao gab keine Antwort. Sie atmete mehrmals tief durch, dann hob sie die Schultern. »Ich weiß es nicht genau, Suko, aber ich spüre, die andere Kraft.«
»Wie?«
»Da ist etwas. Li versucht, glaube ich, Kontakt mit mir aufzunehmen. Sie will an mich heran.«
»Wirklich?« fragte Madame Chu. »Das… das… wäre, wenn es stimmt, unwahrscheinlich.«
»Warum?«
»Weil Sie eigentlich auf mich fixiert sein müßte. Ich bin schließlich das Medium.«
»Könnte ich es nicht auch sein?«
Die ältere Frau atmete heftig.
»Wenn das wahr wäre, Shao, dann… dann hätten wir ein Phänomen.«
»Das haben wir sowieso schon.« Suko hielt sich eine Schreibtischbreite von Shao entfernt auf.
»Kannst du etwas Genaues sagen?«
»Noch nicht. Nur möchte ich dich bitten, das Licht
Weitere Kostenlose Bücher