0840 - Das Drachenmädchen
ihrer rechten Jackentasche. Nur das Gesicht lugte hervor.
»Arbeitet dort jemand?« fragte Suko.
»Ich weiß es nicht. Zu hören ist jedenfalls nichts«, erklärte die ältere Frau. »Aber das Licht brennt.«
Sie runzelte ihre Stirn. »Das ist schon ungewöhnlich.«
Suko hob die Schultern. »Dann schauen wir am besten mal nach.« Er drückte Madame Chu zurück.
»Lassen Sie mich zuerst hineingehen.«
»Sei vorsichtig«, warnte Shao.
Suko drehte den Kopf. »Natürlich.« Er blickte noch die Strecke zurück, aber der Flur blieb leer.
Niemand zeigte sich, auch kein Geist oder das Drachenmädchen.
Er klopfte nicht an, drückte die Klinke nach unten, dann stieß er die Tür auf und glitt mit einem langen Schritt über die Schwelle. Ein leeres Büro präsentierte sich auf den ersten Blick. Viereckige Kunstlichtleuchten warfen das Licht von der Decke über die zahlreichen Schreibtische und leeren Stühle hinweg. Es spiegelte sich auch auf den Bildschirmen der Monitore, und alles wies daraufhin, das die letzte Person, die dieses große Büro verlassen hatte, das Licht hatte brennen lassen.
Dennoch störte sich Suko an der Atmosphäre. Da die beiden Frauen nichts von ihm gehört hatten, waren sie ebenfalls in das Büro gekommen, und Madame Chu stellte mit beinahe sachlich klingender Stimme fest: »Ich rieche Blut!«
Suko drehte sich. »Wo denn?«
Madame Chu konzentrierte sich auf ihre Nase und stellte gleichzeitig die Aktentasche ab. Einen Augenblick stand sie nachdenklich auf ihrem Platz, dann wandte sie sich nach rechts, während sich Suko die andere Richtung vornahm.
Shao war im Flur geblieben. Sie hatte sich allerdings so aufgebaut, daß sie auch in das Büro schauen konnte.
»Blut«, floß die wispernde Stimme der Frau über die Schreibtische hinweg. »Es kann nur Blut sein…«
Suko hörte kaum hin. Er war stehengeblieben und bewegte nicht mal den kleinen Finger. Sein Blick glitt dorthin, wo sich tatsächlich ein Blutfleck auf dem Teppich abzeichnete.
Nein, nicht nur ein Fleck, sondern drei.
Und drei Tote lagen mit schrecklichen Brustwunden auf dem Rücken vor ihnen.
Suko wischte über seine Stirn. Das Gesicht fühlte sich so feucht an, als hätte er es gewaschen. Sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen. Das Erscheinen des Drachenmädchens in der Hauswand war das Omen gewesen. Daß es allerdings so schlimm hatte kommen müssen, damit hätte er noch nicht gerechnet. Der Schock angesichts dieser drei Leichen hatte ihn wieder in die Realität zurückgerissen, aus der Shao und er in den letzten Tagen geflohen waren. In diesen langen Sekunden ging ihm durch den Kopf, daß sie es gar nicht schaffen konnten, ihrer »Arbeit« zu entkommen. Die würde sie immer wieder einholen. Es war ihr Schicksal, in dem sie schlichtweg gefangen waren.
»Ich wußte es.«
Der Inspektor hörte die Stimme der Madame Chu und schaute nach vorn. Sie war unhörbar zu ihm getreten, und ihr Nicken deutete an, daß sie damit gerechnet hatte.
»Und?« flüsterte Suko.
Madame Chu ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ich bin mir noch nicht sicher«, gab sie zu. »Aber ich brauche mir nur die Wunden an der Brust anzusehen, um zu wissen, daß hier die Magie des Drachens über Li Warren hinweg voll zur Geltung gekommen ist. Es ist nichts anders geworden, es ist alles so geblieben. Der Schrecken hat Methode. Der Tod wird unser Begleiter sein.«
Auch Shao hatte ihren Platz im Flur verlassen. Sie sagte nichts, schaute nur einmal kurz hin und atmete scharf durch die Nase. Dann sah sie sich um, als wollte sie irgendwelche Killer suchen, die sich noch in der Nähe aufhielten.
»War es Li Warren?«
Madame Chus Gesicht verriet den Zweifel. »Ich kann es nicht genau sagen. Es ist möglich. Sie kann auch einen Helfer gehabt haben, das wird sich herausstellen.«
»Welchen Helfer?«
»Suko, es ist für mich schwer, Ihnen eine konkrete Antwort zu geben. Ich müßte einige Experimente durchführen…«
»Jetzt?«
»Sicher, noch in dieser Nacht.«
»In welche Richtung laufen sie?«
»Es hängt mit der Drachenmagie zusammen. Mit dem Drachen selbst, mit diesem grauenvollen Wesen, das eigentlich immer existent ist. Es lebt, wenn auch nicht sichtbar, aber sein Geist hat alles durchdrungen. Mensch und Materie.« Sie hob die Schultern. »So ist das nun mal, und wir können daran nichts ändern.«
»Meinen Sie?«
»Ja.«
»Warum sind wir dann hier?« fragte Shao. »Wenn es doch sowieso keinen Sinn hat, können wir uns wieder zurückziehen.«
Die alte
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