0840 - Das Drachenmädchen
dann würde er der erste sein, der auf das Tor zueilte, um Shao zu Hilfe zu kommen.
Es blieb geschlossen.
Zumindest vorerst, denn nichts zeigte sich in der Wand. Keine Bewegung, kein Flimmern, kein Abdruck, der sich als Versteck abmalte, nichts, was sie einlud.
Warten…
Madame Chu redete.
Ihre Worte klangen jetzt lauter. Sie waren von einem Keuchen begleitet. Es mußten sehr alte Sprüche sein, und sie war eben das Medium, daß diese Formeln einsetzte.
War sie letztendlich so stark?
Die Zeit war für Suko stehengeblieben. Dünne Rauchfaden umwehten ihn. Der Geruch hatte sich in seinem Mund festgesetzt, aber auch Einlaß in sein Hirn gefunden. Suko kam sich dabei vor, als wäre ein Teil von ihm weggetrieben worden.
Er stand da, er wartete. Sein Blick wechselte zwischen der alten Frau und der Wand hin und her.
War dieses Medium stark genug, um das Tor zu öffnen? Oder verfügte sie über Kraft, um die Person auf der anderen Seite zu manipulieren?
Noch lag alles in der Schwebe.
Dann geschah es.
Es passierte praktisch übergangslos, denn plötzlich schrie Madame Chu auf. Sie stemmte die Arme in die Luft, ihre Hände zuckten, sie schleuderte ihren Kopf zurück, konnte nicht mehr in ihrer ruhigen Stellung bleiben, denn die Macht der anderen Seite hatte sie voll und ganz übernommen. Sie steckte in ihr, sie schlug zurück, aber Madame Chu hatte es kraft ihrer beschwörenden Worte geschafft, daß sich dort, wo sich der Durchgang befand, etwas tat.
Das Tor zeichnete sich ab.
Die Frau schrie!
Suko hielt seinen Oberkörper nach vorn gebeugt. Gewaltige, geistige Kräfte durchtosten den Raum, sogar der Fußboden vibrierte, als würde das Haus unter einem Erdbeben leiden.
Suko, der auf seinen eigenen Füßen stand, schwankte trotzdem von einer Seite zur anderen. Er hatte Mühe, sich festzuhalten und stemmte sich schließlich an der Schreibtischkante ab.
Das Tor!
War es offen?
Plötzlich zuckte er zusammen, als hätte man ihn geschlagen. In der Wand sah er einen Umriß, der gefüllt war mit einem flimmernden Licht, und genau dieses Licht sandte eine Kraft aus, der Madame Chu nichts entgegenzusetzen hatte.
Sie hatte das Experiment gewagt. Sie hatte die andere Seite gerufen, und die andere Seite hatte reagiert.
Sie schlug zurück.
Die alte Frau schrie auf.
Wieder bewegten sich ihre Arme hektisch, als wollte sie rudern. Dann rief sie Shaos Namen, und so etwas wie ein Sog erfaßte sie, als sie zurück auf den Schreibtisch fiel.
Der Sog zerrte sie nach vorn. Es sah so aus, als wollte er die Frau auf das Gesicht schmettern, was aber nicht geschah, denn plötzlich streckte sich ihr Körper ebenso wie die Arme und auch die Hände, als wollte sie mit den Fingern nach etwas greifen.
Der Sog blieb und verstärkte sich.
Er riß sie vor.
Er schleuderte sie auf die Wand zu.
Sie konnte sich nicht halten, sie wurde von unsichtbaren Armen durch die Luft gezerrt und drehte sich während des Flugs mehrmals um die eigene Achse. Dabei blieb ihr Körper nie ruhig. Er zitterte und bebte, als bekäme er auf die Reise permanent irgendwelche Schläge ab.
Sie drehte sich dabei schneller um die eigene Achse, so daß Suko die Gelegenheit bekam, mehrmals ihr Gesicht zu sehen, das Angst und Anstrengung verzerrt hatten.
Weiter… kein Halt!
Auch für Suko nicht.
Was immer hier auch geschah, welche Kräfte Madame Chu geholt und geweckt haben, sie alle hatten indirekt etwas mit Shao zu tun, und sie stand bei Suko an erster Stelle.
Wenn es Madame Chu tatsächlich gelang, die anderen Dimensionen zu erreichen, wollte Suko in keinem Fall nachstehen. Auch er mußte einfach durch das Tor und wuchtete von der Seite her auf die im Sog schwebende Person zu.
Beide prallten zusammen.
Suko packte zu, aber seine Hände rutschten ab. Ihm war, als wäre ein Fisch durch seine Händflächen geglitten.
Der Weg war offen.
Nicht für Suko.
Während er nach vorn fiel und auf die Knie prallte, hielt er den Kopf gedreht.
Madame Chu stieß durch die Wand!
Das Tor schluckte sie. Es gab nicht mal eine Öffnung dort, wo sie eintauchte. Sie glitt hinein wie ein Turmspringer in das Wasser. Als Suko noch ihre Schuhsohlen sah, stand er auf den Beinen und jagte ihr nach.
Ein Sprung nach vorn, der reichte - und ein Schrei.
Zum Glück hatte der Inspektor seine Arme vorgestreckt. Die Hände prallten gegen die Wand, die wieder normal geworden war, und Suko drehte seinen Körper ab, bevor er zu Boden fiel und liegenblieb.
Noch im Liegen spürte er das
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