0840 - Siegel der Rache
gehalten.
Was sollte so wichtig, so ungewöhnlich an diesem Buch sein? Die Auftraggeberin, die der Hauptmann als überaus geheimnisvolle Frau geschildert hatte, musste an der Vernichtung des Bandes ein persönliches Interesse besitzen, denn sie hatte sich den Diebstahl eine enorm hohe Summe kosten lassen. Selbst wenn sie die zweite Hälfte des Honorars nun nicht mehr begleichen würde, war der gezahlte Betrag mehr als erwähnenswert. Veronique war irgendwie jedoch davon überzeugt, dass die ausstehende Zahlung bald erfolgen würde.
Doch noch war der Auftrag nicht vollständig ausgeführt. Noch existierte das Buch.
Ohne länger zu zögern legte Veronique die Handflächen auf das Buch, strich über den Einband. Ein Kribbeln zuckte durch die faltigen Hände der Frau. Als sie die Innenseiten ihrer Hände betrachtete, waren die von einer feinen Schicht winziger Flecken überzogen. Was hatte das nun zu bedeuten? Reagierte sie allergisch auf das Leder?
Ein zweiter Versuch brachte das gleiche Ergebnis. Entschlossen griff Veronique zu, um den Folianten zu öffnen. Sie wollte doch sehen, ob die Seiten des Bandes einer Zerstörung standhielten, wie der Hauptmann ja so eindringlich behauptet hatte. Doch das Buch ließ sich nicht öffnen…
Schwefelsäure hatte auch auf Papier zerstörerische Auswirkungen, sollte sicher ebenso nicht vor dem eigenartigen Lederbezug Halt machen. Ein leichtes Lächeln verirrte sich auf Veroniques Gesicht. Schwefelsäure… in einem Raum wie diesem. Ein absolutes Unding, doch es war ihr im Grunde noch nie schwer gefallen, sich die Dinge zu besorgen, die sie wollte.
Ein leises Knistern bannte ihre Aufmerksamkeit. Es bewegte sich - das Buch bewegte sich ohne ihr Dazutun.
Plötzlich sprang der obere Deckel regelrecht hoch… Seiten blätterten wie von Geisterhand bewegt auf, und ein hellrotes Leuchten hüllte den gesamten Folianten ein.
Veronique war nicht fähig, sich in Sicherheit zu bringen. Zu schwach war ihr Körper, zu tief saß der Schock über das, was hier geschah.
Und-Veronique schrie, als etwas nach ihrem Geist tastete - etwas Böses, kalt und tödlich.
Doch dieser Schrei blieb stumm -und wäre dem nicht so gewesen, wer hätte ihn hören sollen?
Hier, in einer abgeschlossenen Welt, in der Schreie der Verzweiflung und des Wahnsinns die Normalität waren…
***
Rat bewegte sich in dieser vollkommenen Dunkelheit mit traumwandlersicher Sicherheit durch die Gänge. Warum er trotz des fehlenden Lichtes alles erkennen konnte, war ihm nicht klar. Er hatte sich diese Frage auch nie selbst gestellt. Andere hatten das zu erforschen versucht, doch ihn hatte eine Erklärung zu diesem Phänomen nie interessiert.
Er konnte es. Wozu sollte er mehr wissen?
Rat hörte die Stimmen. Um diese Uhrzeit war hier eigentlich nie viel los. Viel interessanter war es an den Tagen, an denen tausende Fußballfans grölten. Rat hatte in seinem ganzen Leben so ein Spiel noch nie ganz verfolgt. Er verstand die Regeln nicht, zudem wollte ihm der Sinn so einer Veranstaltung nicht einleuchten.
Dennoch waren solche Spieltage für ihn einfach großartig. So viele Idioten, bei denen man alles Mögliche abgreifen konnte, ohne von ihnen auch nur bemerkt zu werden. Das war das einzige Spiel, das Rat mochte, denn darin war er ein Meister. Hier unten hatte er einen ganz eigenen Raum für sich aufgetan. Niemand wusste davon, auch die anderen nicht. Mischa und Poul waren seine Kumpel, aber wenn es wirklich darauf ankommen würde, hätte Rat sich nie auf die beiden verlassen. Sie machten ihre Witze über Rats Äußeres - immer dann, wenn sie glaubten, er könne sie nicht hören.
Er hörte alles, er sah alles. Er war kein Kretin, kein Monsterfreak, auch wenn 40 alle ihn so nannten. Vor Carl Serou hatte er Respekt. Carl war für ihn der Chef, obwohl das ja irgendjemand anderes sein sollte. Rat war das gleich, denn Carl sorgte dafür, dass er seine Freiräume bekam. Also war Carl der Boss - und Ende.
Rat zog sich wieder in den Gang zurück, als er bemerkte, dass dort im Licht nur drei hübsche Mädchen standen. Wirklich nichts los heute. Niemals hätte er sich den Mädchen gezeigt. Die Dunkelheit schlang sich um ihn, gab ihm die Deckung, die seine Seele so oft brauchte. Mädchen… besser, wenn sie ihn nicht sahen.
Als Kind hatte er überhaupt nicht begreifen können, warum sie alle über ihn lachten, warum sie schrien oder weinten, sobald er irgendwo auftauchte. Dann gab es noch die anderen, die nicht wegliefen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher