0844 - Tödliches Amsterdam
Tiefe. Suko stand bereits auf der Treppenmitte. Er strahlte gegen den schmalen Wasserstreifen, bewegte dabei die Lampe, so daß es aussah, als würde auf der welligen Oberfläche eine leuchtende Schlange entlanggleiten.
Wo der Abwasserkanal anfing oder endete war von dieser Stelle aus nicht zu sehen, und wir konnten auch nur raten, in welche Richtung wir gehen sollten.
»Ihr kennt euch in dieser Stadt aus«, sprach ich Jolanda und Rob an.
»Welche Richtung sollen wir nehmen?«
»Laß mich nachdenken, John.« Rob tat es und schabte dabei über sein Ohr. »Das ist natürlich schwer. Ich meine…«
Jolanda unterbrach ihn. »Wenn wir nach links gehen, erreichen wir irgendwann den Fluß. Zu ihm hin wird ein Schieber oder eine Schleuse den Kanal sichern. Deshalb würde ich vorschlagen, daß wir uns für die rechte Seite entscheiden.«
Rob nickte, bevor er sich an mich wandte. »Bist du damit auch einverstanden, John?«
»Immer. Vergiß nie, daß ich hier der Fremde bin. Ihr kennt euch in dieser Stadt aus.«
»Aber kaum unterhalb der Straßen.«
Ich lächelte. »Jede Stadt hat ihre Unterwelt. Weshalb sollte Amsterdam da eine Ausnahme bilden?«
»Im Prinzip hast du recht.«
Suko winkte uns schon zu. Ein Beweis, daß auch er einverstanden war, und so stiegen wir wieder einmal vorsichtig die alten und brüchig aussehenden Steinstufen einer Treppe hinab, um uns direkt am Kanal, an seinem relativ breiten Rand wieder zu sammeln.
Hier unten gab es kein normales Licht. Wir mußten uns schon auf die beiden Lampen verlassen. Daß hier an der leicht gerundeten feuchten Decke keine Lampen brannten, wunderte mich, und ich sprach dieses Thema an. Ich verglich diesen Kanal mit denen, die wir aus London kannten, und erntete von Jolanda Widerspruch.
»Ich könnte mir vorstellen, daß wir an einem Kanal stehen, der stillgelegt wurde. Oder nicht?«
»Ja, kann sein.«
»Das gibt es doch auch in London.«
»Eins zu Null für dich.«
Es reichte uns. Diskutieren hatte jetzt keinen Sinn mehr.
Wir mußten handeln. Suko wollte weiterhin die Führung übernehmen. Ich bildete das Schlußlicht, denn wir beide besaßen die einzigen Lichtquellen.
Damit begann unsere eigentliche Suche!
***
Auch wenn es in Filmen immer so toll aussieht, wenn Menschen durch irgendwelche Kanäle schleichen - der Streifen »Der dritte Mann« war dafür das beste Beispiel -, mir machte es keinen Spaß, diesen Weg zu gehen, denn von einer Kanalromantik konnte ich beim besten Willen und bei allem Bemühen nichts feststellen.
Was uns umgab, waren Gestank, feuchte Wände und das schmutzige Wasser in der Rinne links neben uns. Zum Glück blieb der Rand breit genug, so daß sich die Gefahr, auf einem schmalen Steg auszurutschen, um einiges verminderte.
Dennoch konnte ich mir etwas Besseres vorstellen, als in dieser Umgebung zu suchen, wobei noch hinzukam, daß wir zunächst einmal keinen Erfolg erzielten.
Von den hungrigen Leichen sahen wir nichts, einfach gar nichts. Dafür entdeckten wir andere Tiere, denn hin und wieder wurden fette Ratten durch das Licht in ihren Verstecken aufgescheucht. Sie nahmen dann mit schnellen, sprunghaften Bewegungen Reißaus und sprangen auch mal in die braune Brühe.
Wir bewegten uns weiter durch eine unbekannte Tiefe, aber es wuchs auch die Skepsis, zuerst bei Jolanda, und sie hielt damit nicht hinter dem Berg. »Ich weiß nicht, ob wir hier richtig sind.«
»Einen anderen Weg können sie nicht genommen haben«, erwiderte Rob.
»Sie müssen hierhergekommen sein.«
»Glaubst du denn, daß wir den Tunnel finden? Den eigentlichen, meine ich.« Obwohl sie leise gesprochen hatte, hallte ihre Stimme leicht nach.
Das lag an der ungewöhnlichen Akustik im Tunnel, denn es waren keine anderen Geräusche zu hören, abgesehen von unseren eigenen Schritten.
Wo dieser unterirdische Gang endete, wußten wir nicht. Er führte immer weiter geradeaus, er schien vom Nichts aufgesaugt zu werden, und auch die Enden der Lichtbalken erreichten kaum ihr Ziel. Unser Optimismus war gedämpft worden, aber ähnliche Dinge hatte ich schon des öfteren erlebt. Irgendwann einmal sah alles anders aus, da konnten die Verhältnisse blitzartig auf den Kopf gestellt werden.
Die hungrigen Leichen brauchten Blut, sie wollten Menschen. Sie wollten ihre Krallen hineinschlagen, also mußten wir für sie potentielle Opfer sein.
Opfer, die es tatsächlich gewagt hatten, ihr Reich zu betreten, wo sie allein das Sagen hatten.
Schweigend setzten wir den
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