0846 - Im Namen des Leibhaftigen
Da hat er sich geschnitten, sage ich dir.«
»Das ist gut.«
»Finde ich auch. Wir können später darüber reden. Gib mir eine Stunde - okay?«
»Sicher.«
»Bis dann, und stell schon etwas kalt.«
»Mach ich, Kitty.«
Erleichtert legte Ginger auf. Kitty und sie waren Freundinnen schon seit Jahren. Kitty war so etwas wie ein menschlicher Quirl und immer in Bewegung. Sie brauchte Action, ohne sie langweilte sie sich. Es würde ihr auch nichts ausmachen, zu einer derartig späten Stunde die Freundin zu besuchen.
Champagner!
Ja, das war die Idee. Zwei Flaschen hatte Ginger verwahrt. Sie standen in der Küche, leider nicht im Kühlschrank. Sie würde sie sicherheitshalber für eine halbe Stunde auf Eis legen. Wenn Kitty kam, würden sie Champagner trinken und all die Scheiße vergessen, die das Leben so manchmal mit sich brachte.
Um in die Küche zu gelangen, mußte die Frau den Flur betreten. In alten Häusern wie diesem war er noch großzügig gebaut worden. Da brauchte man keine Angst davor zu haben, beim An- oder Ausziehen mit den Händen gegen die Wände zu schlagen.
Sie trat in den Flur, wollte Licht machen, doch die Hand erstarrte auf halbem Wege.
An der Wohnungstür stand unbeweglich der Schatten!
***
Er ist da! Fuhr es Ginger durch den Kopf. Er ist da. Der Killer ist gekommen. Du bist sein nächstes Opfer. Er ist ein Mensch und keine Säule, auch wenn er so aussieht.
Sie sah und roch ihn!
Es war ein ungewöhnlicher, ein fremder Geruch, der ihr da entgegenströmte. Ein Geruch, der nicht aus diesem Lande stammte, dafür war er einfach zu exotisch.
Angst überflutete sie.
Ein derartiges Gefühl hatte Ginger noch nie gekannt, nicht in dieser Stärke. Dieser unbewegliche Fremde, der dunkelhäutig sein mußte, weil er sich kaum von den Schatten im Flur abhob, war gekommen, um ein Versprechen einzulösen.
Vor ihren Augen verschwamm das Bild. Ein anderes schob sich statt dessen vor ihre Augen.
Sie sah sich wieder im Gerichtssaal sitzen und diesen Woorie Cabal beobachten.
Seine Rede, seine letzten Worte stießen aus der Erinnerung hervor wie Blitze in ihren Kopf.
Im Namen des Leibhaftigen.
Genau das war es, vor dem sie sich so schrecklich fürchtete. Im Namen des Leibhaftigen, dieses Monsters, des Teufels oder was immer er auch sein mochte.
Er war das Grauen, er war der Tod. Er wollte Blut und Vernichtung. Sie schauderte noch mehr zusammen, und sie spürte auch die Stiche in ihrer Herzgegend. Wieviel Zeit seit dieser Entdeckung des Fremden vergangen war, das wußte sie nicht. Ihr momentanes Leben war plötzlich zeitlos geworden, sie fühlte sich wie herausgedrängt, und sie konnte noch nicht begreifen, daß der andere erschienen war, um sie zu töten. Einfach vernichten, ihr das Leben nehmen, sie… sie…
Er ging vor.
Ginger hörte nichts. Dieser unheimliche Fremde schaffte es tatsächlich, sich lautlos zu bewegen. Er war wie ein Schatten, der über dem Boden schwebte, und er hielt etwas mit seiner rechten Hand fest, das Ginger erst jetzt sah.
Es war ein langer Gegenstand, eine Stange, die oben spitz zulief. Die Mordwaffe?
Ginger Hayden wußte es nicht, wie Frank Orlando ums Leben gekommen war, sie wollte es auch nicht wissen, die dachte an sich selbst und daran, daß sie ihr Leben retten mußte.
Sie ging deshalb zurück und trat wieder in den Lichtschein des großen Wohnzimmers, dessen wuchtige Möbel ihr möglicherweise Deckung geben konnten.
Die Frau trat ins Licht, der Töter ebenfalls.
Er überschritt die Schwelle, und Ginger sah ihn zum erstenmal genau. Jetzt fiel ihr auch der Name wieder ein, den Cabal gerufen hatte.
Shango!
Ja, das mußte dieser Shango sein. Das war er, der noch schlimmer war als Cabal.
Sein Gesicht war mit roten Streifen an den Wangen bemalt. Er hatte die Unterlippe des breiten Mundes vorgeschoben, als wäre er dabei, Speichel zu sammeln, den er ihr ins Gesicht spucken wollte.
Es war einfach furchtbar und grauenhaft.
Er bewegte seine Waffe. Ginger konnte erkennen, daß es eine Lanze war, auch wenn die Form von der normalen abwich. Die Spitze war geschwungen wie eine erstarrte Flamme, und sie konnte den Blick davon einfach nicht abwenden.
Kitty!
Himmel, warum kam Kitty nur so spät?
Ginger hörte das Zischen.
Er hatte es ausgestoßen. Ein bösartig klingendes Geräusch, keine Warnung, ein Signal. Aber nur für ihn, denn Shango bewegte seine rechte Hand blitzschnell.
Noch schneller war die Lanze.
Sie traf ihr Ziel!
Ginger Hayden merkte so gut wie nichts,
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