0846 - Im Namen des Leibhaftigen
ordnen.
Sie arbeitete als Sachbearbeiterin in der Verwaltung. Die vierundvierzigjährige Blondine galt bei ihren Kollegen und Vorgesetzten als verläßlich. Sie war beliebt, sie hatte sich zudem hochgearbeitet und ein eigenes Aufgabengebiet übernommen, und sie hatte auch nicht abgelehnt, als man sie bat, als Geschworene bei Gerichtsverhandlungen anwesend zu sein.
So etwas mußte getan werden, und es mußte auch Menschen geben, die dem Recht dienten.
Ihr Leben war nach der Scheidung durchaus normal verlaufen, bis zu diesem unseligen Prozeß gegen den fünffachen Mörder Woorie Cabal. Da hatte Ginger zum erstenmal gespürt, was es heißt, Angst zu haben. Obwohl der Angeklagte immer gefesselt war und unter Bewachung stand, hatte er ihr Furcht eingeflößt. Sie hatte auch von seinen Taten gehört und deshalb erfahren, mit welch einer ungeheuerlichen Grausamkeit sie begangen worden waren.
Furchtbar, kaum auszusprechen…
Und es war genau der Zeitpunkt gekommen, an dem sie daran gedacht hatte, diese Aufgabe abzugeben. Sie hatte lange überlegt, sich aber dagegen entschieden und hatte weitergemacht.
Der Prozeß war gelaufen, Cabal hatte seine Strafe bekommen, aber seine letzte Rede war allen im Gedächtnis haften geblieben, natürlich auch Ginger Hayden.
Im Namen des Leibhaftigen. Das genau hatte er gesagt, und es war ihr vorgekommen, als hätte er im letzten Augenblick noch den Teufel zu Hilfe gerufen.
Er sollte ihm helfen.
Konnte er das?
Ginger wußte es nicht. Sie hatte mit dem Teufel nie viel am Hut gehabt. Früher einmal war sie in die Kirche gegangen, doch in dieser Stadt hatte sie das einfach vergessen. Die Worte wollten ihr nicht aus dem Sinn. Sie brannten in ihr wie Säure, und sie hatte das Gefühl gehabt, daß mit der Verurteilung des Mörders der Fall noch nicht abgeschlossen war.
Dann war der Mord geschehen.
Sie hatte von Frank Orlandos Tod in der Zeitung gelesen. Nur eine kleine Meldung, es war nicht darüber berichtet worden, wie er ums Leben gekommen war. Sicherlich gab es in New York noch mehrere Orlandos, aber Ginger hatte nachgeforscht und erfahren, daß es der Orlando war, der nicht mehr lebte.
Ihre Angst wuchs.
Und auch die Polizei hatte ähnlich gedacht wie sie. Zwei Beamte waren zu ihr ins Amt gekommen und hatten mit ihr gesprochen. Sie waren sehr offen gewesen und sprachen die Befürchtung aus, daß sich jemand aufgemacht hatte, um eine Rachetour zu beginnen.
Gleichzeitig waren sie davon überzeugt gewesen, daß sie den Mörder schnell finden würden, sie hatten nur sicherheitshalber eine Warnung aussprechen wollen. Außerdem baten sie darum, daß Ginger die Augen offenhielt und alles Verdächtige, was in ihrer unmittelbaren Umgebung geschah, sofort meldete.
Sie hatte es versprochen.
Von nun an lebte sie mit der Furcht. Tagsüber weniger. Sobald jedoch die Dunkelheit über das Land hereinbrach, da kam die Furcht wieder durch. Ginger schloß alle Fenster, sie legte die beiden Riegel vor die Tür und sie bedeckte die Scheiben auch von innen mit Vorhängen.
Drei große Zimmer standen der Frau zur Verfügung. Zählte man das Bad mit, kam noch ein viertes hinzu. Ihre Wohnung war die Burg, in der sie Schutz fand, sie war das Heim, in das sie keinen Menschen hineinließ, den sie nicht kannte, und sie hatte sich nie davor gefürchtet, aber nach dieser einen Tat konnte sie sich nicht mehr wohl fühlen. Da war alles anders geworden.
Ginger Hayden hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, am Abend noch einmal ein Bad zu nehmen, dann zu lesen oder in die Glotze zu schauen. Auf das Bad verzichtete sie und stellte sich statt dessen unter die Dusche.
Eingehüllt in ihren Bademantel ging sie in den Wohnraum, lümmelte sich in ihren Sessel und nahm ein Buch. Sie schlug es auf, sie wollte lesen, aber sie konnte sich einfach nicht konzentrieren. Alle normalen Laute kamen ihr verdächtig vor und beunruhigten sie.
Ginger stand auf, als sie das Buch zur Seite gelegt hatte. Sie war eine überdurchschnittlich große Frau, die durch die hochgekämmten blonden Haare noch größer wirkte. Ihr Gesicht war glatt und hatte um die Mundwinkel herum in den letzten zwei Jahren harte Züge bekommen, was ihr einen strengen Ausdruck verlieh, den auch die Brille mit dem farbigen Gestell nicht auflockern konnte.
Mit ihrer Figur war sie zufrieden. Ihretwegen kassierte sie manch bewundernden Blick, was ihrem Ego natürlich guttat.
Ginger ging quer durch den Raum auf das Fenster zu. Auch die Möbel hatte ihr
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