0849 - Sprung über den Abgrund
das Luk öffnete, wandte er sich zu seinen Begleitern um und sagte: „Von hier an wird es ernst. Da draußen wartet die Hölle auf uns. Medaillon wird wahrscheinlich schon in einigen Stunden das Stadium eines Schwarzen Lochs erreichen. G-Wirbel und paraenergetische Eruptionen sind an der Tagesordnung.
Ich nehme es keinem von euch übel, wenn er lieber hier zurückbleiben will."
Sepi Altamare machte ein beleidigtes Gesicht.
„Ich habe mich freiwillig gemeldet, nicht wahr?" fauchte er.
„Dasselbe gilt für mich", schloß Ver Bix sich an.
„Ich sehe keinen Grund, mich abseits zu halten", erklärte Augustus würdevoll.
*
Walik war der erste, der aus der Höhle ins Freie trat. Der heulende Sturm packte ihn sofort und wollte ihn mit sich reißen. Walik warf sich herum und suchte Halt an der Felswand. Die schneidende Kälte drang ihm bis ins Mark.
Er begann, die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, daß er erfroren sein würde, bevor er die Villa des Obmanns erreichte.
Er versuchte, sich zu orientieren. Die Finsternis war undurchdringlicher als je zuvor. Er hörte krachende Geräusche.
Das bedeutete, daß der Sturm schwere Gegenstände mit sich führte und sie gegen die Felsen schleuderte.
Der Treffer eines solchen Geschosses war ohne Zweifel tödlich. Walik riß die Lampe aus dem Gürtel und schaltete sie ein.
Ihr Lichtkegel drang nur ein paar Meter weit. Staub und Sand wirbelten mit rasender Geschwindigkeit durch den schmalen Lichtkorridor.
Walik klemmte sich die Lampe unter den rechten Arm.
Dann versuchte er ein letztes Mal, Luna zu erreichen. Er trug den Minikom am linken Handgelenk.
Ungeduldig schaltete er ihn ein und hob das kleine Gerät ans Ohr, um über das Tosen des Sturms hinweg zu hören, ob sein Rufsignal beantwortet wurde.
Er hörte das Knacken und Prasseln von Störgeräuschen.
Aus unendlich weiter Ferne drang eine schwache Stimme an sein Ohr: „Terra... ungeheuer beschleunigt ... wahrscheinlich ... im Laufe der ... Stunden ..."
„Wie viel Stunden noch?" schrie Walik.
Aber er bekam keine Antwort mehr. Die Verbindung war zusammengebrochen.
Da machte er sich auf den Weg. Er konnte sich nicht um die anderen kümmern. Jeder war auf sich selbst gestellt. Er richtete den Schein der Lampe dorthin, wo nach seiner Ansicht die Villa des Obmanns lag. Am Ende des Lichtkegels sah er einen Felsklotz, der von halber Mannshöhe war. Diesen nahm er sich als Ziel. Er merkte bald, daß er aufrechtgehend dem Sturm eine zu große Fläche darbot. Deshalb ging er zu Boden und bewegte sich auf allen vieren weiter.
Als er den Felsen erreichte, suchte er sich ein neues Ziel.
Er erinnerte sich an Dutzende von Geschichten, die er gehört oder gelesen hatte, in denen Leute wie er unter widrigen Umständen einen geraden Weg zu gehen versucht hatten, nur um Stunden oder gar Tage später festzustellen, daß sie sich dauernd im Kreis bewegt hatten. Er wählte sein nächstes Ziel mit Sorgfalt.
Im Notfall würde ihm das Terrain zu Hilfe kommen. Wenn er vom rechten Pfad abkam, würde er hier oder auf der anderen Seite des Tales in die Berge geraten. Dann konnte er seinen Kurs korrigieren.
Er erinnerte sich nicht, jemals im Leben so erbärmlich gefroren zu haben. Die Kälte brannte ihm im Gesicht, die Hände waren gefühllos, und die Füße hatten sich längst in Eisknollen verwandelt.
Einmal klatschte unmittelbar neben ihm etwas in den Boden und überschüttete ihn mit einer Menge lockeren Erdreichs. Da wußte er, daß er dem Tod nur um Haaresbreite entgangen war.
Er verlor jegliches Zeitgefühl. Er wurde zur Maschine: Ziel anleuchten - robben - Ziel erreichen. Er dachte nicht mehr.
Alle Gedanken, deren er bedurfte, um die Villa des Obmanns zu erreichen, waren bereits gedacht.
Sein Verstand war leer. Sein Wahrnehmungsvermögen beschränkte sich auf den Gegenstand, der im Lichtschein der Handlampe vor ihm auftauchte und sein nächstes Ziel darstellte. Er bemerkte nicht, wie die Kälte immer tiefer in ihn eindrang.
Er spürte keine Schmerzen mehr, wenn er sich die Haut aufschürfte oder wenn ihn kleine Wurfgeschosse trafen, die der Sturm mit sich führte.
Er glaubte, ein rotes, düsteres Licht zu sehen, das ihm den Weg wies. In die Richtung des roten Glühens hielt er seine Lampe, wenn er ein neues Ziel suchte. Und nicht einmal kam ihm in den Sinn, daß das merkwürdige Licht ein Produkt seines überreizten Bewußtseins sein könne.
Schließlich sah er im Schein seiner Lampe etwas Großes, Mächtiges
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