085 - Flitterwochen mit dem Tod
einen festen Plan zu haben schien. Diese Verfolgung dauerte jetzt schon fast dreißig Minuten, und Dorian wußte nur, daß sie in östliche Richtung gegangen waren.
Wohin geht unser Freund? überlegte Dorian gerade, als er sah, wie Magnus Gunnarsson am Ende der nächsten schräg abzweigenden Straße in den Eingang eines verfallenen Hauses schlüpfte.
Die Gegend war häßlich und trostlos. Feuchter Nebel zog von der Isar herauf. Es begann zu stinken. Die Gasse war wie ausgestorben. Im Schatten schlich Dorian auf das Haus zu. Auf der Straße lagen zerbrochene Dachziegel. Zwei Autos parkten neben dem Eingang. Sie schienen nicht viel jünger als das Haus zu sein, dessen Fenster mit schmutzigen Brettern vernagelt waren. Nicht der winzigste Lichtschein fiel aus einer der Öffnungen. In der Gasse schien niemand zu wohnen - was sicher ein Trugschluß war; aber Dorian hörte nichts. Er sah kurz auf die Uhr. Fast neun.
Dorian blieb zehn Meter vor dem Eingang der Ruine stehen und lauschte abermals. Nichts war zu hören. Er tastete sich weiter vor. Durch die zwei fingerbreiten Ritzen der uralten, fast auseinanderfallenden Eingangstür sah er sehr undeutlich einen breiten Hausflur und dahinter einen mit Gerümpel übersäten Hof. Keine Bewegungen, keine Geräusche, dachte Dorian.
Er zog die gnostische Gemme aus dem Hemd und legte die Hand darauf. Jetzt erst hörte er in dem Haus merkwürdige Geräusche. Für ihn gewannen die Laute innerhalb ganz kurzer Zeit eine Bedeutung. Er ahnte, was dort vorging.
Schnell, aber lautlos huschte er durch den breiten Spalt, den Gunnarsson offengelassen hatte. Vor ihm sprangen mit trippelnden Pfoten und leisem Pfeifen zwei Ratten in verschiedene Richtungen davon. Die Laute - ein heiseres Flüstern und ein geiferndes Schmatzen - kamen von links vorn.
Die Toreinfahrt war voller Gerümpel. Dorian bahnte sich vorsichtig einen Weg hindurch. Er hielt den Atem an. Sein Herz schlug laut. Es roch nach Abfall, feuchten Mauern und einer Menge Dreck, faulenden Matratzen, Mull und Kadavern. Einmal trat der Dämonenkiller in eine weiche, klebrige Masse und schüttelte sich vor Ekel, als er merkte, was es war. Dunkle Türeingänge und Treppenaufgänge, deren Stufen mit Unrat übersät waren, bildeten eine schauerliche Kulisse.
Die Geräusche wurden deutlicher. Nachdem sich Dorian um einen morschen Schrank herumgetastet und sich Spinnenweben aus dem Gesicht gewischt hatte, sah er schräg vor sich einen grünlichen Lichtschein. Das flackernde Licht brannte in einem kleinen Saal ohne Glas in den Fenstern und mit einer schief in den Angeln hängenden Tür. In dem schmalen Streifen Helligkeit, der in den Hausflur fiel, schlich Dorian näher, aber er blieb nicht an der Tür stehen, sondern ging vorsichtig an der verkrusteten Mauer entlang, bis er durch das Gitter aus Holz schauen konnte, in dem noch die Reste von Milchglas steckten.
„Ich will - meinen Lohn! Jetzt gleich!" zischte röchelnd die Gestalt, die neben einem alten schmutzigen Tisch stand.
Ihr gegenüber stand Magnus. Beide Gestalten wurden durch das dämonische Licht in Spukgestalten verwandelt. Dorians Interesse konzentrierte sich auf die untersetzte, gekrümmte Gestalt.
Der Unhold war häßlich wie ein Wesen aus einem Alptraum. Ein Ghoul, dachte Dorian entsetzt. Gunnarsson traf sich in dieser stinkenden Ruine mit einem Ghoul, einem Geschöpf der finstersten Nacht. Ein Ghoul war ein Ausgestoßener, selbst unter den Dämonen.
Die Gegenstände und Personen, jeder Umriß, jede Linie verzerrten sich und wurden immer wieder undeutlich. Dorian erkannte trotzdem alles, was er sehen wollte und mußte.
Der Ghoul, der die Worte gezischt und gestöhnt hatte, verging vor Gier. Immer wieder veränderte er sich wie brodelndes Protoplasma. Seine Haut sah aus, als bestünde sie aus lauter Beulen und Geschwüren. Die Finger, mit denen er eben noch auf Gunnarsson gedeutet hatte, zerflossen zu einer gallertartigen Masse und stabilisierten sich dann wieder. Das gleiche geschah mit dem Hals und dem Nacken.
Plötzlich sagte der Isländer hart: „Ich werde dich gebührend belohnen."
Dorian sah in die Richtung, in die Magnus deutete. Auf dem Tisch lag eine nackte Leiche, die Leiche eines Mannes von vielleicht dreißig Jahren, voller Wunden.
„Gestohlen. Aus dem Leichenhaus - Krankenhaus. Lohn", stammelte mit zerfließenden Lippen die abscheuliche Gestalt.
Gunnarsson hatte jetzt beide Hände in den Taschen seiner Jacke.
„Ich brauche noch mehr Leichen", sagte
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