085 - Von den Morlos gehetzt
Name auf einem Notizblock – direkt unter meinem Namen.
Laura sah mich immer noch schweigend an, wobei sie sich fast die Unterlippe zerbiß.
„Ich fange an Angst zu bekommen“, sagte sie jetzt und legte den Notizblock auf den Tisch. „Vielleicht sollten wir doch nicht dieses Geheimnis ans Tageslicht zerren, Rob.“
Ich schüttelte ernst den Kopf.
„Zu spät, Laura. Du vergißt Mrs. Tichles, die verschwunden und vielleicht in höchster Lebensgefahr ist. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Wir müssen sie suchen.“
Ihre Augen flackerten vor Angst, als sie zögernd fragte: „Und wo sollen wir sie suchen?“
„Die Antwort kennst du ebenso gut wie ich selbst, Laura. In der Gruft der Mrs. Benneth.“
Laura erhob sich schweigend, trat ans Fenster und zog die Vorhänge beiseite. Im gleichen Moment stieß sie einen entsetzlichen Schrei aus und taumelte zurück. Mit einem mächtigen Sprung hechtete ich zum Fenster, riß es auf und blickte in den Garten hinaus. Weit und breit war nichts zu sehen.
„Nichts“, sagte ich und drehte mich zu ihr um. „Warum hast du geschrien?“
„Es war ein Gesicht am Fenster“, flüsterte sie, wobei sie mit schreckgeweiteten Augen an mir vorbei starrte. „Ein dickes, fettes, ekelhaftes Gesicht, Rob! Ich schwöre, daß ich mich nicht geirrt habe.“
Wortlos drehte ich mich um, sah noch einmal aufmerksam in den nächtlichen Garten und schwang mich hinaus. Das Gras an der Hauswand war niedergetrampelt, aber das konnte auch ich getan haben, als ich bei meinem Rundgang ums Haus hier gestanden und gegen das Fenster getrommelt hatte. Ich kam in die Höhe und machte mich erneut auf die Suche, wobei ich dieses Mal mehr auf den Boden achtete.
Fast wäre ich deswegen mit Elena Tichles zusammengestoßen. Steif und leblos hing sie jetzt an der trüben Lampe über der Eingangstür.
Warren wußte nicht, wie lange er auf dem harten Steinboden des Ganges gelegen hatte. Irgendwann kam er wieder zu sich, und er spürte erneut seine Schmerzen und die Angst und das Grauen. Unter tausend Höllenqualen gelang es ihm, sich auf den Bauch zu wälzen und die Knie anzuziehen. Er begann zu kriechen, stieß gegen etwas Weiches, Plumpes, das direkt vor ihm auf dem feuchten Boden lag, kroch über den zuckenden Leib hinweg, rutschte aus und wand sich wie ein Wurm weiter durch den engen, übelriechenden Gang, der zurück zum Leben führte.
Endlose Ewigkeit lag vor ihm, ein scheinbar nie endender Weg, der an einer rostigen Eisenleiter aufhörte, die ihm in diesen Minuten des Elends unerreichbar fern vorkam. Blut rann ihm über die Hände, jemand schien mit einer festen Schlinge seinen Hals abgeschnürt zu haben, aber er kroch! Angetrieben vom Willen zum Überleben und dem Wunsch, zumindest dort oben zu sterben, wo die Sonne schien und die Menschen glücklich den blauen Himmel genossen.
Stunden mußten vergangen sein, in denen er mehrmals zusammengebrochen, kraftlos liegengeblieben und dann doch wieder vorwärts gekrochen war. Als er sich schließlich Sprosse für Sprosse die Leiter hinaufquälte, hatte er längst jedes Zeit- und Schmerzgefühl verloren. Einmal, für einen kurzen Augenblick, registrierte sein Bewußtsein, daß er irgendwo in der Höhe an der Leiter klebte. Er wunderte sich, wo er diese Kraft hergeholt hatte.
Beim zweiten Mal spürte er, daß frische, reine Luft in seine Lungen strömte, und es traf ihn wie ein harter Schlag auf die Brust. Er fühlte Nässe und Kälte durch seinen Mantel dringen, und er war glücklich, daß es so war, ohne es eigentlich zu begreifen.
Irgend jemand in seiner Nähe rief etwas, Geräusche von eiligen Schritten näherten sich ihm, und er glaubte, einen Arm unter seinen Schultern zu spüren, der ihn in die Höhe hob. Er wollte etwas sagen, irgend etwas, aber nur ein heiseres Seufzen gelang ihm.
Du bist oben, kam ihm ein Gedanke. Alles ist gut jetzt, denn die Erde hat dich wieder.
Als er zum dritten Mal seine Umwelt wahrnahm, begriff er, daß er tatsächlich gerettet war. Er roch es, hörte es. Alles um ihn herum schien ihm vertraut. Er schlug die Augen auf. Ein Bett, eine helle Zimmerdecke und der süßliche, wunderbare Geruch von Medizin. Ein bekanntes Gesicht beugte sich über ihn, lächelte und die Lippen formten Worte: „Du mußt jetzt schlafen, Jules. Du brauchst Ruhe, nichts als Ruhe.“
„Harper“, hauchte er und spürte wieder den brennenden Schmerz in seiner Kehle. „Mein Gott, ist das schön.“
Dann sank er in einen tiefen, traumlosen
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