0851 - Der Kult der Shada-Gor
Augen verschloss. Für einen Geheimdienstmann nicht gerade eine alltägliche Eigenschaft.
»Was wollen Sie in Tibet?«, hatte Yang gefragt.
»Tut mir leid, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber es ist nichts, was Ihrer Regierung schaden könnte. Ganz im Gegenteil.«
Am Ende der Leitung entstand ein unbehagliches Schweigen, dann sagte der Major knapp. »Okay, ich sehe, was ich machen kann.«
Zwei Stunden später rief der Geheimdienstoffizier zurück: »Ich habe die Genehmigung. Sie haben quasi Diplomatenstatus und können sich in Tibet frei bewegen. Aber es war nicht leicht. Irgendetwas geht da unten vor, aber niemand wollte mir sagen, was…«
»Politische Unruhen?«
»Nein, es ist wohl eher was, das in Ihren Bereich fällt. Mehr konnte ich nicht herausfinden. Die offiziellen Stellen halten absolut dicht.«
»Ich dachte, Sie sind beim Geheimdienst der Experte für paranormale Phänomene.«
»Stimmt, aber dies ist eine Operation des Militärs. Außerdem haben sich auch bei uns die Dinge ein wenig verändert. Oberst Lung ist vor drei Monaten gestorben, und sein Nachfolger ist nicht annähernd so nachsichtig mit meinen ›Eskapaden‹. Er hält übernatürliche Erscheinungen generell für das Produkt einer überspannten Phantasie.«
Unwillkürlich musste Zamorra grinsen. Er kannte das Problem, von Bürokraten als Spinner abgetan zu werden, nur zu gut.
»Das heißt, man hat Sie kaltgestellt?«
»Könnte man so sagen. Das Gruseligste, das ich in letzter Zeit gesehen habe, war das Essen in unserer Kantine.« Schnell wurde der Geheimdienstoffizier wieder ernst: »Noch etwas, Professor: Ich weiß nicht, ob Sie der Diplomatenstatus wirklich schützen kann. In Tibet fackeln unsere Jungs nicht lange. Seien Sie vorsichtig, dass Sie nicht in die Schusslinie geraten.«
»Keine Sorge, wir sind vorsichtig. Danke, Yang.«
»Nichts zu danken.« Der Major zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr: »Sind Sie sicher, dass Sie mir nicht mehr sagen können?«
»Ganz sicher. Tut mir leid.« Zamorra gab sich Yang gegenüber ungern so verschlossen, aber wenn er mit den Neun Drachen kooperierte, musste er den Geheimdienst draußen halten. Im beiderseitigen Interesse.
Beunruhigt beendete der Dämonenjäger die Verbindung. Das Militär hatte also auch schon Wind von der Sache bekommen. Das war nicht gut. Ganz und gar nicht gut.
Die Motoren der Cessna heulten auf, als der Pilot abrupt in den Sinkflug überging. Während sich Lhasa in atemberaubendem Tempo näherte, zog der Pilot entspannt an seiner Zigarette und summte fröhlich eine einheimische Weise. Vielleicht hätten wir doch den Bus nehmen sollen , dachte Zamorra, als der Flughafen mit der beunruhigend kurzen Landebahn ins Blickfeld kam.
Doch die majestätische Kulisse der tibetischen Hauptstadt lenkte ihn schnell ab. Lhasa lag stolze 3658 Meter über dem Meeresspiegel. Beherrscht wurde das Stadtbild vom mächtigen Potala-Palast, dessen Dächer golden in der Sonne funkelten. Bis zu seiner Vertreibung hatte hier der Dalai Lama, das religiöse und weltliche Oberhaupt der Tibeter, residiert, doch dieses architektonische Meisterwerk mit seinen 15.000 Säulen und 999 Hallen existierte als Symbol seiner geistlichen Autorität weiter. Die Chinesen hatten in der Zeit der Kulturrevolution unzählige buddhistische Tempel zerstört, doch an den Potala hatten selbst sie sich nicht herangetraut.
Mit quietschenden Reifen setzte die Cessna auf dem Rollfeld auf. Grinsend beendete der Pilot sein Lied, drückte die Zigarette lässig auf dem Armaturenbrett aus und öffnete die Türen. Als sich Zamorra aus der Kabine zwängte, glaubte er für einen Moment, ersticken zu müssen. Er hatte im Laufe der Jahre verdrängt, wie dünn die Luft auf dem Dach der Welt war. Herr im Himmel, dachte der Parapsychologe, und hier sollen wir gegen Dämonen kämpfen? Neben ihm hatte Nicole das gleiche Problem. Kurzatmig schnappte sie nach Sauerstoff, während die schneidende Kälte rote Flecken auf ihre Wangen zauberte.
Der Pilot feixte fröhlich, als er die beiden Franzosen nach Luft japsen sah. Offenbar waren sie nicht die Ersten, denen das Klima arge Probleme bereitete.
»Nicht baden!«, rief er in gebrochenem Englisch.
»Was?«
»Nicht baden!«, wiederholte der Tibeter lachend und zündete sich eine weitere Zigarette an. »Wenn am ersten Tag baden - Lungenentzündung. Nix gut. Erst morgen.«
»Na prima!«, schimpfte Nicole missmutig. »Ich stinke jetzt schon wie ein Yak!«
»Das sind doch edle und
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