0851 - Wir jagten das bleiche Gesicht
ist wichtiger.«
Er hatte nichts dagegen, wollte sich aber nicht als erster in den Bau hineinschieben, sondern wartete, bis ich ihn betreten hatte. Mir folgte er dann, und hinter ihm ging Suko.
Ich stand in einem Bereich, der nur mit dem Begriff menschenunwürdig beschrieben werden konnte. Obwohl ich noch keine einzige Zelle zu Gesicht bekommen hatte, war es doch die hier zwischen den Wänden herrschende Atmosphäre, die mich abstieß und mir zudem einen Schauer über den Rücken jagte.
Wenn überhaupt, konnten sich hier höchsten Ratten wohl fühlen.
Oder Menschen, die dieses Wort nicht verdienten, wie eben Albert Fink oder Egon Kraft.
An Fink hingen nach wie vor unsere Hoffnungen. Wir waren einfach davon ausgegangen, daß es sein Ascona war, der draußen parkte, aber von ihm selbst sahen wir nichts. Was nicht unbedingt bedeuten mußte, daß er nicht hier irgendwo steckte. Er hatte es nur vorgezogen, sich zurückzuziehen, oder er war bereits in den Bunker abgetaucht. Der Gang vor uns, in den wir sehr bald gekommen waren, lag leer vor uns. Wir konnten es noch erkennen, ohne unsere kleinen Leuchten einschalten zu müssen.
In diesem alten Bau herrschte eine besondere Stille und auch Kühle. Beide verband ich mit dem Begriff klebrig, denn ich hatte einfach das Gefühl, als würden kühle Spinnweben mein Gesicht streicheln und die Haut kitzeln.
Zudem schaute ich mich immer wieder um, weil ich wieder an das Gesicht dachte und natürlich an eine Rückkehr, aber den Gefallen tat es mir leider nicht.
Es hielt sich hier versteckt, ebenso die Person, zu der es gehörte.
Es kam mir vor, als wären selbst die Mauern, Decken und Zellen dabei, den Atem anzuhalten.
»Dir gefällt so einiges nicht«, vermutete Suko mit leiser Stimme.
»Stimmt.«
»Und was?«
Ich hob die Schultern und blieb bei meinen Worten allgemein.
»Das gesamte Umfeld, Suko. Ich gehe davon aus, daß wir nicht allein sind. Irgend jemand hat auf uns gewartet.«
»Klar, in der Waschküche.«
Die Richtung stand fest, aber wir kamen nur wenige Schritte weit, denn plötzlich hörten wir etwas, das uns schon überraschte. Es war ein seltsames und gleichzeitig unheimlich klingendes Summen oder Singen. Der Gesang einer Frau, allerdings weltlich und nicht irgendwo aus geisterhaften Sphären stammend.
Ich machte den Anfang, lief schnell vor und stand ebenso rasch vor der Zelle, aus der der Gesang strömte. Ich leuchtete hinein, und mein Herz schlug schneller, als ich die kleine Kreatur auf der Pritsche im Schneidersitz hocken sah. Umgeben von einer viel zu weiten Kleidung, das Gesicht von der schlaffen Haut wie eingepackt, und mir kamen sofort die Beschreibungen in den Sinn, die Harry Stahl von Egon Kraft gegeben hatte.
Er war es auch, der als nächster neben mir stand, sich beinahe verschluckte. »Meine Güte, das ist wie bei Egon Kraft. So hat er auch ausgesehen.«
Ich ging einen Schritt in die Zelle hinein, die so verflucht eng war, in der aber vier Menschen gehaust hatten, nicht sechs wie in der vorherigen Zelle.
Die veränderte Frau hatte uns bemerkt, denn ihr Gesang verstummte. Dann bewegte sich ihr Kopf so weit nach vorn, bis sie uns normal anschauen konnte. Dort, wo die lappige Haut auch bis über den Mund gefallen war, bewegten sich die Lippen.
»Willkommen bei uns. Willkommen im Reich der Rache…«
Es waren Worte, die mir bitter aufstießen. Zudem hatte die Frau sie mit einem glucksenden Lachen begleitet. Sie hob die Hände an und preßte sie gegen ihren Kopf, wo sie ihre überhängende und lappige Haut zusammendrückte, als wollte sie uns zeigen, daß man damit auch spielen kann. Sie klemmte sie zwischen die Finger, zog sie vor und ließ sie wieder los. Diese Haut war wie ein Umhang, eine zu groß geratene Kleidung, in die die Frau erst noch hineinwachsen mußte. Auch ihr kleiner Kopf schwankte wieder, dann ließ sie die Hände plötzlich sinken und starrte uns an.
Wir hatten uns einigermaßen von den Schocks erholt und waren auch in der Lage, Fragen zu stellen. Noch hatten wir das Ziel nicht erreicht, diese Person aber war so etwas wie ein Brückenkopf auf dem Weg dorthin. Harry übernahm die erste Frage. »Wer sind Sie?« flüsterte er.
Die Person tat so, als müßte sie zunächst über ihren Namen nachdenken. »Ich bin Berta Sahler. Früher war ich eine tolle Frau. Alle Weiber fürchteten sich vor mir, aber nicht nur die Frauen. Auch die Männer gingen mir lieber aus dem Weg. Ich habe sie gehaßt. Nicht die Frauen, nur die verdammten
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