0854 - Jäger der verlorenen Seelen
muß.«
Meine Mutter nickte. »Du hast recht, John. Was allerdings keine Erklärung für sein Aussehen ist.«
»Sehr richtig.«
»Hast du dir darüber Gedanken gemacht?«
»Habe ich nicht Mutter«, erwiderte ich und stand auf. »Wenn ich ehrlich sein soll, dann ist es mir auch egal. Ich will ihn haben, und ich will ihn dorthin schicken, wohin er gehört. Ich habe miterlebt, wie die vier jungen Leute ertrunken sind. Durch Hilfe meines Kreuzes und durch ihr Erscheinen ist mir die Vergangenheit präsent geworden, und ich will dir sagen, daß sie schon im Wasser gelitten haben. Was dann später geschah, als man sie lebendig begrub, darüber möchte ich nicht einmal nachdenken, weil es zu schrecklich ist.«
»Das kann ich gut begreifen, John«, sagte sie leise. »Sehr gut sogar. Deshalb ist es wichtig, daß du ihn wirklich zum Teufel schickst.«
Mein Blick zeigte Überraschung. Derartige Worte aus dem Mund meiner Mutter zu hören, war ich nicht gewohnt. Ich ging zu ihr und küßte sie auf die Wange. »Du bist schon einmalig.«
»Das weiß ich, mein Junge. Wieso sagst du das?«
»Na ja, lassen wir das. Ich werde jetzt verschwinden.«
»Du bist zwar erwachsen, darf ich trotzdem fragen, wo du hinwillst?«
»In die Nähe des Friedhofs. Dort sitzt Dad. Er wartete auf Dundee McGeoff. Vielleicht kann mir der Küster noch einen Hinweis geben. Außerdem bin ich mit Vaters Wagen unterwegs.«
»Was ist denn mit unserem Besuch?«
Ich schaute sie schief an. »Mal ehrlich, Mutter, glaubst du noch daran, daß sie kommen?«
»Ich weiß es nicht. Jedenfalls werde ich hier im Haus bleiben.«
»Das ist okay.«
Sie brachte mich noch zur Tür. »Tu mir einen Gefallen, gib auf deinen alten Herrn acht. Er ist manchmal schlimmer als ein junger Hüpfer und denkt zu oft, er wäre noch dreißig.«
»Ich werde es ihm sagen.«
Meine Mutter schaute mir zu, als ich in den Wagen stieg, und sie winkte mir noch nach.
Ich grüßte zurück, schaute dann zum Himmel, wo die Sonne schon sank.
Der Nachmittag war beinahe vorbei, es näherte sich der Abend, die Dämmerung, und dann würde die Dunkelheit kommen.
Uliaks Zeit…
***
Über den Westteil des Friedhofs hatte das Grauen sein Flair ausgebreitet und verschonte nichts. Auch die vier Menschen spürten es und kamen sich vor wie Gefangene, obwohl sie sich frei bewegen konnten. Nicht aber in dieser Atmosphäre, denn acht Augen starrten denjenigen an, der weder ein ganzer Mensch noch ein ganzes Skelett war, aber die vier Gräber geschaufelt hatte, denn seine rechte, normale Hand umfaßte den oberen Quergriff eines Spatens, dessen blankes Blatt in den Boden stach.
Uliak hatte bisher kein einziges Wort gesprochen. Er stand nur da und genoß den Anblick der beiden entsetzten Paare, die zu keiner Reaktion fähig waren.
Er selbst brauchte nichts zu erklären, die Gräber sprachen für sich, und er wollte, daß sie sich daran gewöhnten. Ob eine Minute oder nur zehn Sekunden verstrichen waren, hätte keiner von ihnen sagen können, jedenfalls war es Uliak, der redete, und die beiden Paare sahen zum erstenmal, wie er sprach.
Er bewegte seinen Mund nur an der rechten Hälfte, wo die Lippen noch vorhanden waren. An der linken waren sie weggefressen worden wie die übrige Haut auch. Die leere Augenhöhle wirkte auf sie wie eine stumpfe Mulde, aber das rechte Auge lebte noch. Es hatte eine Pupille, die aussah wie ein schwarzer Mond. Die Kälte eines Grabs strahlte dort ab und begleitete die Worte. »Wie ihr mir, so ich euch…«
Es war ein Rätsel, das niemand verstand. Aber sie schauten sich nicht einmal an. Sie standen nur da, wagten kaum Luft zu holen, und schauten dem Grinsen zu.
»Ihr versteht nicht, wie?«
Fred Wayne zumindest gelang es, den Kopf zu schütteln.
Uliak lachte. Und plötzlich sprach er mit einer völlig veränderten Stimme. So schrill und übertönt, als wäre in der Nähe eine Gruppe von Libellen, die anfingen zu schreien, und den entsetzten Zuhörern fiel es wie Schuppen von den Augen.
Nicht einer ihrer Geisterkinder hatte telefoniert, sondern diese Gestalt, sie hatte die Stimme ausgezeichnet nachgemacht, wie sie jetzt so perfekt demonstrierte. »Alles wird seine Gerechtigkeit bekommen. Man hat mich damals bei lebendigem Leib begraben, aber man hat vergessen, mit wem man es zu tun hatte. Ich war jemand, der sich den Schwarzen Künsten verschrieben hat. Ich gehörte zu denen, die nicht so leicht zu töten waren, die sich teuflischen Totenexperimenten unterzogen haben, die
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