0855 - Spektrum des Geistes
heruntergekommenen Prospektor? ... Aber was reden wir darüber, du verstehst diese Dinge nicht."
„Wenn dir Ferro nicht gefällt, kann ich dir einen anderen Mann beschaffen. Laß mich nur machen, Virna. Jörge hat mir versichert, daß ich schon eine viel größere Bandbreite habe. Es wird sich was Passendes finden. Vic muß einfach weg."
„Wenn du so sprichst, dann habe ich Angst davor, dich allein hier zurückzulassen und in den Einsatz zu gehen", sagte Virna.
„Ich bin nicht allein, ich habe Freunde", versicherte Boyt. „Du kannst beruhigt in den Ein-satz gehen. Ich habe dich dazu überredet, weil ich weiß, wie dringend du diese Arbeit brauchst. Du brauchst das Gefühl, anderen Menschen helfen zu können. Wenn du zu-rückkommst, dann wird alles anders aussehen."
Boyt, Vic und Ferro begleiteten sie zum Raumhafen. Als sie die KORMORAN bestieg, sah sie die drei einträchtig beisammenstehen und ihr winken. Trotz dieses scheinbaren Bild des Friedens trat sie den Flug mit einem unguten Gefühl an.
Während des dreiwöchigen Einsatzes in der Milchstraße vergaß sie jedoch ihre privaten Sorgen. Sie ging förmlich in ihrer Arbeit auf. Wie unbedeutend und nichtig doch ihre Prob-leme gegen die der Flüchtlinge waren! Das Bewußtsein, anderen und noch unglückliche-ren Menschen helfen zu können, wirkte wie eine Regenerierungskur auf sie. Sie kam wie neugeboren nach Gäa zurück.
Doch das Hochgefühl währte nicht lange.
Kaum hatte sie die KORMORAN verlassen, da traten zwei Regierungsbeamte an sie heran.
„Sie leben mit Vic Lombard zusammen, Frau Marloy? Würden Sie uns bitte begleiten?
Sie müssen jemanden identifizieren."
„Ist Vic etwas zugestoßen?" fragte sie bange. „Warum wurde ich nicht früher verständigt?"
„Wir warteten bis zur Landung der KORMORAN, um für Sie nicht noch alles schlimmer zu machen."
Sie brachten sie ins Leichenschauhaus und zeigten ihr den Toten. Es war unverkennbar Vic, das erkannte sie an dem Armersatz. Ihr wurde bei dem Anblick schlecht. Der Körper wirkte ausgelaugt, vertrocknet. Die Haut war pergamentartig, wie mumifiziert.
Man sagte ihr, daß der Tod durch einen explosiven Schrumpfungsprozeß des gesamten Zellkern-Haushalts herbeigeführt worden sei, und es wurde die Vermutung einer bisher unbekannten Seuche geäußert.
Virna beantwortete die an sie gerichteten Fragen, aber sie war nicht bei der Sache.
Sie mußte immer wieder an Cloens Mungokätzchen denken, das dieselben Symptome wie Vic gezeigt hatte. Aber darüber schwieg sie.
Nachdem die Formalitäten erledigt waren, wurde sie in einem Regierungsschweber nach Hause gebracht. Boyt war nicht allein. Außer Ferro befand sich noch ein Fremder im Haus.
Er war groß und schlank, hatte blondes Haar und ein schmales, scharf geschnittenes Gesicht.
„Das ist Hamon", stellte Boyt ihn vor. „Er ist bereit, dich über Vics Verlust hinwegzutrös-ten."
Das war zuviel für Virna. Sie flüchtete auf ihr Zimmer. Wenig später kam Boyt zu ihr.
„Wenn du willst, Virna, schicke ich meine Freunde fort", sagte er sanft. „Es ist ohnehin besser, wenn ich nicht mit ihnen gesehen werde. Willst du mit mir allein sein, Virna?"
Sie nickte.
*
Virnas Verfall kam nicht von einem Tag zum anderen, es war ein Prozeß über Jahre.
Er hatte begonnen, als Boyt vor sechs Jahren plötzlich in ihrem Haus auftauchte. Bald konn-te sie ihren Dienst in der Rettungsflotte nicht mehr versehen, weil sie den Strapazen nerv-lich und körperlich nicht mehr gewachsen war. Sie arbeitete überhaupt nicht. Boyt sorgte für sie. Virna fragte ihn nicht, woher er das Geld hatte; sie stellte überhaupt keine Fragen, machte ihm keine Vorschriften und überließ ihn sich selbst, obwohl sie nach außen hin den Anschein erweckte, daß sie ihm eine strenge Erziehung gab. Aber das war Boyts ei-gener Wunsch.
Er brachte keine Fremden mehr ins Haus. Seit dem Tage, da er Ferro und den Raumfahrer, mit dem er sie verkuppeln wollte, fortgeschickt hatte, kam außer Jörge Bellon nie-mand mehr zu Besuch.
Aber Virna war sicher, daß sich Boyt mit seinen „Freunden", die er seit neuestem „Para-tender" nannte, insgeheim traf. Sie war ihm einmal nachgeschlichen und hatte beobach-tet, wie er in ein fremdes Haus ging. Sie war ihm auch dorthinein gefolgt und hatte sich plötzlich inmitten einer Runde von sieben Personen gefunden, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte.
Boyt war damals sehr wütend, und es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre gegen sie
Weitere Kostenlose Bücher