0856 - Leas Hexenladen
dem eine Frau saß und kaum hochschaute, als wir den Raum betraten.
Das war sie! Das mußte sie einfach sein. Ich hatte es im Gefühl. Zuerst sah ich eigentlich nur ihre langen Finger, gegen die das Licht einer Schreibtischleuchte schien. Sie lagen auf dem Schreibtisch und wurden direkt vom Schein erfaßt. Die Nägel waren dunkel lackiert. Ich ahnte, daß wir genau richtig waren.
Hatte man in dem hinter uns liegenden Raum noch Bücher kaufen können, so sah es hier ganz anders aus, denn dieser Raum verdiente sich den entsprechenden Namen.
Auch hier gab es Regale, auch hier leuchteten kleine Lampen die ausgestellten Gegenstände an, mit denen ein normaler Mensch wohl nicht viel anfangen konnte, es sei denn, er glaubte an die Kraft von Armbändern, Steinen, Pendeln, Talismane, Salben und Kräuter sowie unterschiedlich große Figuren und Glücksbringer.
Sie verteilten sich hier und standen zum Kauf bereit, aber wir waren die einzigen Besucher.
Schon beim Eintritt war mir das ungewöhnliche Geräusch unter der Decke aufgefallen. Als ich hochschaute, sah ich einen großen Ventilator, der sich müde drehte und die mit ungewöhnlichen Gerüchen angereicherte Luft verteilte. Der Ventilator kreiste über der am Schreibtisch sitzenden Frau, der ich mich näherte, wobei Maureen in meinem Rücken blieb.
Die Frau schaute hoch.
Ich sah ihr Gesicht nicht, sie mußte erst den Schirm der Lampe drehen, was sie auch tat.
Ja, das war Lea!
Im ersten Augenblick war ich selbst überrascht. Nicht allein von ihrem Aussehen, denn mich überfluteten gleichzeitig die Erinnerungen aus meiner Kindheit. Sie hatte sich tatsächlich nicht verändert. Auf ihrer Haut entdeckte ich keine Falte, im Gegensatz zu den Gesichtern der drei alten Weiber aus dem Wald. Die Frau trug einen engen grünen Pullover, und als sie sich erhob, da sah ich auch ihre ungewöhnlichen Hosen, durch deren Stoff Goldfäden gewoben waren und sie ungemein wertvoll aussehen ließen.
Noch immer war die Haarfarbe nicht genau zu beschreiben. Im Gegensatz zu früher trug sie die Haare heute kurz. Sie wuchsen beinahe wie eine Matte auf ihrem Kopf, standen dabei aber etwas in die Höhe. Ein schmales Gesicht, dunkle Augen, ein weiches Kinn, ein voller Mund. Lea war eine interessante Erscheinung, die sich elegant wie eine Schlange bewegte.
An ihren Ohren hingen gleich mehrere Schmuckstücke. Das fing bei einem auf dem Kopf stehenden Kreuz an, das sich bei den zahlreichen Ketten vor der Brust wiederholte, und endete in fremden Zeichen aus anderen Kulturen.
Sie schaute uns an.
Zuerst mich, dann meine Begleiterin. Schließlich zeigten ihre Lippen ein Lächeln. Sie nickte zur Begrüßung und sagte: »Zwei Fremde, das finde ich gut.«
Ich hakte dort ein. »Das müßten Sie doch eigentlich gewöhnt sein, daß Fremde ihr Geschäft betreten.«
»Warum?«
»Ich hörte, daß zahlreiche Fremde nach Barham kommen, um Ihr Geschäft zu besuchen.«
»Ach ja?«
»Das war unser Motiv.«
»Sie interessieren sich für meine Dinge, Madam.«
»Auch«, sagte Maureen, weil sie direkt angesprochen worden war. »Ich möchte mich ebenfalls umschauen und bin gespannt, was ich hier bei Ihnen entdecken werde.«
»Haben Sie einen bestimmten Grund gehabt?«
»Kann sein. Vielleicht möchte ich mein Leben ändern. Sie sind Lea, nicht wahr?«
»Ja, die bin ich.«
»Das ist Ihr Geschäft?«
»Ich muß es bestätigen.«
»Wie nett.« Maureen räusperte sich.
»Ich darf mich dann etwas umschauen.«
»Bitte sehr. Schauen und überlegen Sie. Bestimmt wird es einige Dinge geben, für die Sie sich interessieren. Schon sehr bald werden Sie zu den Menschen gehören, die ihr Leben noch einmal überdenken, bevor sie in eine neue Phase hineingleiten. Ich habe das öfter erlebt. Zu mir kommen Kunden und Kundinnen, die sich wieder auf die alten Werte besinnen, die erkannt haben, daß eigentlich alles weiblich ist. Sagt man nicht die Sonne oder die Mutter Erde? Natürlich sagte man das. Und alles, was die Erde dank der Sonnenkraft hervorbringt, kann eigentlich nur weiblich sein.«
»Eine interessante Theorie.«
»Die auch in die Praxis übergeht.« Maureen blieb beim Thema. »Können Sie mir denn etwas Besonderes empfehlen?«
»Dazu kenne ich Sie nicht gut genug. Sie müßten mir sagen, für was Sie sich besonders interessieren.«
»Die alte Kunst der Hexerei.«
»Meinen Sie?« Lea lächelte. »Die Künste, die uns das Mittelalter hinterlassen hat?«
»Ja, so ist es.«
»Da sollten Sie nach vorn in
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