0857 - Die Schnitterin
zu Gesicht bekommen. Mehr noch, er ist nicht da.«
»Was uns nicht stört«, sagte Suko. »Wir werden uns trotzdem in seinem Haus umsehen.«
»Das lasse ich nicht zu.« Der Gärtner nahm eine beinahe kampfbereite Haltung ein und wollte von seinem Gefährt steigen, schaute aber auf Sukos Ausweis, der wie durch Zauberei in seine Hand gelangt war. »Wollen Sie uns tatsächlich nicht hineinlassen?«
Der Gärtner schluckte. »Bullen?«
»… haben vier Beine«, sagte Suko. »Haben wir die? Wahrscheinlich nicht. Wie heißen Sie?«
Der Gärtner war still geworden und schluckte erst einmal.
»Na los, haben Sie keinen Namen?«
»Rosario.«
»Gut. Sie sind also hier angestellt und kümmern sich um die Außenanlagen?«
»Ja. Das ist viel Arbeit.«
»Kann ich mir vorstellen. Haben Sie auch die Schlüsselgewalt?«
Erst schaute Rosario Suko, danach mich an. »Wieso Schlüsselgewalt? Was ist das?«
»Können Sie uns ins Haus lassen?« fragte ich ihn.
»Ach so. Ja… ahm … das kann ich schon.«
»Dann tun sie es.«
Er sah so aus, als wollte er sich sträuben. »Aber der Chef ist nicht da. Sie sollten warten, bis er kommt. Er hat es nicht gern, wenn Fremde sein Haus betreten.«
»Wir werden nicht warten, bis er kommt. Dann müßten wir schon bis zum Jüngsten Gericht hier stehenbleiben. Mr. Thornton Brundage weilt nicht mehr unter den Lebenden.«
»Was?« Rosario schnappte nach Luft.
»Ja, er ist tot.«
»O nein…«
»Sie werden es nicht ändern können, und wir können es auch nicht ändern.«
Die Nachricht hatte den Mann erschüttert. Er senkte den Kopf und preßte die Hände gegen sein Gesicht. Wir gaben ihm etwas Zeit, und er sagte dann mit leiser Stimme, so daß wir die Worte kaum verstehen konnten: »Erst Amy Brundage und nun er…«
»Wer ist Amy?« fragte ich sofort.
»Seine Frau.«
»Und sie lebt nicht mehr.«
Rosario nickte. »Ja, sie ist tot, sie kam vor drei Wochen um. Mr. Brundage hat sehr getrauert.«
»Nun lebt er auch nicht mehr«, sagte Suko. »Können Sie uns sagen, wie Amy Brundage starb? War sie krank oder…«
»Nein, nein, sie war nicht krank. Sie ist eines Nachts gestorben, einfach so.«
»Wie bitte?«
»Man hat von einem Herzschlag gesprochen. Aber genau weiß ich das alles nicht.«
»Und wo ist sie begraben?«
Rosario blickte uns aus noch immer feuchten Augen an. »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Gab es denn keine Beerdigung?«
»Das schon. Aber keine offizielle.« Er hob die Schultern und starrte gegen die Haustür. »Mit Friedhof und Trauergemeinde oder so.«
»Was bedeutet denn oder so?« fragte ich.
»Das weiß ich alles nicht. Man hat mich nicht ins Vertrauen gezogen, ehrlich nicht.«
»Aber irgendwo muß die Tote doch geblieben sein.«
Der Gärtner nickte. Dann zog er ein Gesicht, als wollte er sagen, fragt doch ihren Mann, nur fiel ihm ein, daß dieser nicht mehr lebte, und er senkte den Kopf.
»Keine Antwort?«
»Ich hatte Urlaub. Der Chef hat mich in Urlaub geschickt. Außerdem war ich nicht sein Vertrauter. Ich habe mich auch kaum im Haus bewegt. Gewisse Räume waren für mich tabu oder sind es noch.«
»Welche?«
»Der Keller.«
»Was ist dort?«
»Das weiß ich nicht. Ich durfte nie hin. Vorräte wurden woanders gelagert.«
»Aber ins Haus kommen Sie?« erkundigte sich Suko.
»Das schon.«
»Auch durch diese Eingangstür?«
»Sie ist offen.«
»Danke für Ihre Hilfe, Rosario. Dann werden wir uns im Haus einmal umschauen.«
»Ich kann Sie nicht daran hindern. Wenn Sie mich brauchen, ich bin draußen, aber in der Nähe.«
»Ist das Grundstück sehr groß?«
»Ziemlich.«
»Dann bleiben Sie mal da.«
Er sah uns nach, als wir die Treppe hochschritten und für einen Moment vor der Tür stehenblieben. Als ich Suko anschaute, sagte ich: »Ich weiß, was du denkst.«
»Ja? Was denn?«
»Du beschäftigst dich gedanklich mit dem Tod der Amy Brundage und ziehst schon irgendwelche Verbindungen.«
»Wohin?«
»Die gleiche, die ich auch ziehe. Könnte es sein, daß die geheimnisvolle Geisterfrau, die nun schon zum zweitenmal erschienen ist, Amy Brundage oder zumindest ihr feinstofflicher Körper ist?«
Suko lächelte. »Das könnte schon sein, alter Junge.« Dann legte er eine Hand auf die Klinke, drückte sie und mußte sich mit der Schulter gegen das Holz stemmen, um die Tür aufzuschieben.
So betraten wir die Welt des Thornton Brundage…
***
Eis!
Ja, es war eine eisige Welt, obwohl weder die Wände noch der Fußboden mit Eis bedeckt waren.
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