0857 - Die Schnitterin
war. Eine reine Vorsichtsmaßnahme des Chefs. Es hätte ja mal sein können, daß er sich selbst einsperrt. Dafür war der Schlüssel dann gut.«
»Und Sie sind nie nachschauen gegangen?« wunderte sich Suko.
Seine Augen weiteten sich noch mehr. Das Gesicht bekam einen entrüsteten Ausdruck, und ebenso klang auch die Antwort. »Mein Chef hat mir vertraut, und ich fand es nicht mehr als recht und billig, daß ich sein Vertrauen nicht mißbrauche. Aber jetzt ist der Chef tot. Ich… ich … fühle mich nicht mehr an meine früheren Versprechen gebunden. Sie können den Schlüssel haben.« Er übergab ihn Suko. »Den Weg kennen Sie ja.« Dann macht er auf der Stelle kehrt und ging auf den Ausgang zu. Er hatte den Kopf gesenkt. Wir sahen, daß er weinte. Wahrscheinlich hatte er mit der Abgabe des Schlüssels die letzte Verbindung zu seinem ehemals so verehrten Chef gebrochen.
Suko und ich wartete, bis sich die Tür hinter dem Gärtner geschlossen hatte. Mein Freund hob den Schlüssel an und bewegte ihn leicht von einer Seite zur anderen. »Wir können.«
Der Eingang zum Keller war leicht zu finden. Die hellgraue Tür war glatt wie eine Eisfläche.
Sie bildete das Ende eines Ganges, der auf der linken Seite durch Säulen gestützt und begrenzt wurde.
Suko schob den Schlüssel ins Loch, und wir hörten das leise Klacken, doch so leicht ließ sich das Schloß nicht öffnen.
»Hat Rosario uns reingelegt?« murmelte er.
»Das glaube ich nicht. Es muß noch eine andere Möglichkeit geben.« Ich stieß ihn an. »Versuche es. Es hat doch leise geklackt, als du ihn eingeschoben hast.«
»Das schon.«
»Dann drücke ihn weiter.«
Suko folgte meinem Vorschlag, und wir hörten das Geräusch wieder. Diesmal allerdings lauter, und es war auch noch von einem Schnacken begleitet, als sich ein Hebel in die Höhe bewegte, das jedenfalls nahmen wir an, und wir hörten auch ein leises Summen, so daß wir selbst die Tür nicht erst aufzudrücken brauchten, denn sie schwang – getrieben von der Kraft eines Motors von selbst nach innen.
Uns eröffnete sich eine andere Welt, die erst einmal gar nicht so fremd aussah, denn die breite und nach links geschwungene Steintreppe hätte auch in eine andere Etage des Hauses durchaus hineingepaßt, obwohl sie dunkler war als die übrigen Treppen.
»Es muß auch Licht geben«, sagte ich.
Suko suchte bereits nach dem Schalter. Mit einem schleifenden Geräusch fuhr seine Hand über die Wand. »Ich habe ihn.« Der Schalter ließ sich lautlos drücken, und es erhellten sich Röhren, die sich genau in dem Winkel zwischen Wand und Decke an der rechten Seite befanden und aussahen wie eine gläserne Schlange mit zahlreichen Gliedern.
Nun können Leuchtstoffröhren ein unterschiedliches Licht abgeben. Diese hier knallten keine Helligkeit gegen die Stufen oder vor die Wand, sie gaben ein seltsam gräuliches Licht ab. Nicht mausgrau, auch nicht hellgrau, seine Farbnuance lag irgendwo dazwischen. Das Licht war nichts für ein Atelier, denn grauer Staub würde den Künstler schon genug umfließen.
»Dir gefällt es nicht«, sagte Suko.
»Dir denn?«
»Nein.«
»Wir werden trotzdem gehen.«
»Und ob.«
Suko bewegte sich an der rechten und ich an der linken Seite der Treppe dem Keller oder Atelier entgegen.
Beide waren wir auf das gespannt, was uns dort unten wohl erwartete…
***
Sah so ein Atelier aus?
Wir konnten beide keine Antwort geben. Zwar hatte ich schon einige Ateliers gesehen und auch betreten, ich brauchte da nur an das der Künstlerin Jessica Long zu denken, aber mit diesem hier hielt wohl keines in der Welt einen Vergleich stand.
Das war eine Halle, ein riesiger Raum, ebenso groß wie die Reißbrettmaße des Hauses. Eine Kirche ohne Kuppel oder Turm, die von diesem grauen Licht erfüllt war, das die langen Röhren verströmten und auf die Gegenstände warfen, die sehr groß, aber durch helle Tücher vor einem Anblick verdeckt waren.
Diese verdeckten Gegenstände standen überall in der Halle verteilt, und wir entdeckten keine Geometrie. Dafür sahen wir mehrere Klappleitern, einige nicht weit von den Statuen entfernt. Wir sahen Meißel in Kästen neben Holzhämmern liegen, und wir entdeckten links von uns noch rohe, unbearbeitete Steine.
So war unser erster Eindruck.
»Das ist ein Arbeitsraum«, sagte Suko. »So etwas habe ich auch noch nicht gesehen.«
»Du bist auch kein Bildhauer.«
»Stimmt. Wobei ich mich frage, was dieser große Künstler da geschaffen hat. Es ist
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