0857 - Die Schnitterin
Ein normaler Mensch, der dieses Haus betrat und in der weiten Halle mit der hohen Decke stand, der mußte einfach den Eindruck haben, sich in einem Eiskeller zu befinden.
Alles war hell und weiß.
Der Fußboden, die Wände, die aus großen Steinquadern zusammengesetzt waren, und natürlich die Säulen, die sich hier wiederholten und eine breite, freischwebende, nach oben hin führende Steintreppe an ihrem Beginn einrahmten.
Es gab hier nichts Gemütliches. Es war keine Wärme zu spüren, und selbst die Sitzmöbel verbreiteten nicht den Hauch von Gemütlichkeit. Sie waren kalt und abweisend.
Mal Leder, mal Holz. Alles sehr hell. Kein Teppich schluckte den Hall der Schritte, aber etwas Persönliches sahen wir doch.
Es hing mit den Wänden zusammen. Sie waren nicht nur kahl, denn dort hatte der Hausherr die mehr als menschenhohen Bilder und Fotografien einer Frau aufgehängt.
Seiner Frau.
Muse und Ehefrau zugleich. Ein schmales Geschöpf mit langen Haaren, einem ebenfalls schmalen Gesicht, einem vollen Mund, und ich, der ich vor einem dieser übergroßen Porträts stehengeblieben war, dachte sofort an die Begegnung des Mehmet Slater.
Er mußte diese Frau gesehen haben!
Ich sah sie ebenfalls, Suko betrachtete sie auch voller Staunen, doch auf den Bildern war sie unbewaffnet.
»Verstehst du das?« fragte Suko.
Ich hob die Schultern. »Er muß seine Frau abgöttisch geliebt haben.«
»Kann man da von einer Affenliebe sprechen?«
»Das wage ich nicht zu entscheiden.«
Suko räusperte sich. »Dieses Haus ist ein Mausoleum. Es ist nicht für Lebende gebaut, sondern für Tote. So und nicht anders kommt es mir vor, John. Ich möchte hier nicht einmal eine Nacht freiwillig verbringen. Wenn man je von einem kalten Tod gesprochen hat, dann ist er hier zu Hause gewesen oder hat hier seine Heimat gefunden. So etwas habe ich noch nicht erlebt.« Er hob die Schultern und ging weiter.
Auch ich drehte meine Runde. Wir blieben allerdings nicht zusammen. Suko nahm sich die linke Seite der Halle vor, ich blieb an der rechten. An beiden hingen die Bilder. Ins Überdimensionale vergrößerte Fotografien, aber auch Malereien ähnlicher Größe.
Es gab nur ein Motiv.
Eben diese Amy Brundage!
Ich sah sie in allen möglichen Positionen, Launen und Stimmungen. Lachend, traurig, mal verträumt, dann sehr erotisch, aber auch mädchenhaft und beinahe ängstlich.
So zumindest sah Amy Brundage auf den Fotografien aus. Im Gegensatz dazu standen die gemalten Bilder.
Es waren durchweg nur Porträts. Manchmal sehr konkret, dann wieder abstrakt oder schrecklich verfremdet, so daß ein Picasso dabei hätte Pate stehen können.
Aber immer war die Frau in relativ hellen Farben gemalt. Dabei hatte sich der Künstler auf die Variation der Farbe Weiß konzentriert. Mal sah ich sie grell, dann verwaschen, schwammig oder silbrig. Auch mal so kalt wie Mondschein, hin und wieder hatte sie einen silbrigen Schleier bekommen.
Vergeblich suchte ich nach dem Namen des Künstlers. Auf keinem Bild sah ich seine Signatur. So kam mir der Verdacht, daß Thornton Brundage seine Frau gemalt und fotografiert hatte, weil er sie eben so abgöttisch geliebt und verehrt hatte.
Nun war er tot.
Aber was war mit Amy?
Lebte sie?
Es war schon komisch, denn selbst ich spürte den kalten Schauer auf meinem Körper. Es lag nicht allein an dieser Umgebung, der Grund mochten auch meine Gedanken sein, die sich um Tod und Seelenwanderung drehten. In der letzten Zeit hatte ich es oft mit den stufenartigen Welten zu tun bekommen, die ins Jenseits führten. So ging ich davon aus, daß sich auch hier ein Geheimnis verborgen hielt, hinter das wir eben noch kommen mußten. Die Bilder gaben uns leider keine Auskunft.
An der Treppe traf ich wieder mit Suko zusammen. Da dieses gewaltig Haus in einem großen Park stand, wurde ein großer Teil des Tageslichts gefiltert und drang erst nicht durch die breiten Fenster.
Trotzdem war es sehr hell, was eben an den Wänden und auch dem Boden lag.
»Warum sagst du nichts, Suko?«
»Mir fehlen die Worte. Ich frage mich noch immer, wie die Bewohner hier gelebt haben und wo sie es taten. Die sind doch bestimmt nicht nur hier unten gewesen und haben die Bilder angestarrt. Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Ich auch nicht.«
»Wo waren sie dann? Wo haben sie sich aufgehalten, zum Teufel? Ich komme da nicht mit. Oben?«
»Zum Beispiel.«
Suko nickte. »Dann laß uns nachschauen.«
Wir gingen hoch, und wir erlebten, wo wir jetzt
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