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086 - Das Grab des Vampirs

086 - Das Grab des Vampirs

Titel: 086 - Das Grab des Vampirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Sky
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Comte de Rochelles ausweichen wollte; vermutlich wollte sie auch June nicht sehen.
    Runge beobachtete das Mädchen so unauffällig wie möglich. Als sie merkte, daß er sie ansah, lächelte er ihr zu. Sie lächelte zaghaft zurück.
    Er konnte sich nicht vorstellen, daß sie wirklich die Geliebte des Grafen war, obwohl er doch gesehen hatte, daß dieser ihr Zimmer betreten, und sie ihn nackt erwartet hatte. Es gibt jedoch Dinge im Leben, die der Mensch trotz aller Eindeutigkeit nicht akzeptieren will, weil sich alles in ihm dagegen sträubt. June sah blaß und erschöpft aus. Runge hatte sie am ersten Tag als blühendes Mädchen kennengelernt, das vor Übermut und Lebensfreude fast platzte.
    Als sie nach dem Essen – das wie üblich von den kritischen Bemerkungen Lady Tessa begleitet wurde – hinausging, folgte er ihr.
    „Wollen wir nicht ein wenig im Park Spazierengehen?“ fragte er sie.
    Sie trug einen türkisfarbenen Pulli, der ihre Formen vorteilhaft zur Geltung kommen ließ. Ihr rotblondes Haar fiel bis auf die Schultern herab; dennoch konnte Runge einen winzigen Kratzer am Hals sehen.
    „Gern“, antwortete sie und schien erleichtert über sein Angebot.
    Sie legte arglos ihre Hand in die seine und ging mit ihm hinaus. Ihm war diese Vertraulichkeit ein wenig peinlich, da er fürchtete, Ira könnte sie beide sehen; er fand June zwar recht hübsch und anziehend, aber er fühlte für sie etwa wie für eine jüngere Schwester.
    Runge merkte bald, daß June etwas bedrückte. Jedesmal, wenn er versuchte, das Gespräch auf den Comte zu bringen, wich sie aus oder fand schnell ein anderes Thema. Andererseits offenbarte sie ein derart kindliches und naives Wesen, daß er sich einfach nicht vorstellen konnte, daß sie tatsächlich die Geliebte des Grafen war.
    Als sie die Klippen erreichten, legte er einen Arm um ihre Schultern und deutete mit der anderen Hand zu den Fischerbooten hinaus. Er sagte einige belanglose Sätze über die mutigen Männer, die sich so hart ihr Brot verdienten; dabei zog er vorsichtig den Kragen ihres Pullis etwas herab, bis er die zwei bläulich verfärbten, kegelförmigen Narben über ihrer Halsschlagader sehen konnte.
    Ihm war, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen. Er erschrak so heftig, daß sie aufmerksam wurde.
    „Was ist denn, Mr. Runge?“
    „Oh, nichts weiter. Ich dachte nur, eines der Boote würde umkippen.“
    Der Kragen ihres Pullis rutschte wieder hoch und bedeckte die Narben. Jetzt wußte Runge, weshalb der Comte bei June gewesen und wer der Comte tatsächlich war.
    Er führte June wieder in den Park und war froh, daß Lady Tessa wenig später auftauchte. Allein kehrte er zu den Klippen zurück. Er wählte den Platz, an dem er Ira am Vormittag gefunden hatte, weil er hoffte, dort in Ruhe überlegen zu können.
    Es stand nunmehr fest, daß Comte Maurice de Rochelles ein Blutsauger war. Runge gelang es zunächst, die Fabelwesen auszuklammern. Tatsache war, daß der Comte June Blut aus der Halsschlagader entnommen hatte, wie, war eine zweite Frage. Tatsache war aber auch, daß sowohl June und Ira in höchster Gefahr schwebten. Beide Mädchen waren erst wenige Tage auf dem Schloß. Wer konnte sagen, wann der Comte sein blutiges Spiel beenden würde?
    Je länger Runge über das Problem nachdachte, desto verzweifelter wurde er, denn er wußte nicht, was er tun sollte. Ira hatte schon heftig genug reagiert, als er ihr gesagt, wo der Comte die Nacht verbracht hatte. Er konnte sich vorstellen, was sie tun würde, falls er behauptete, der Comte sei ein Vampir. Er durfte es ihr nicht sagen, weil sie ihm nicht geglaubt hätte. Vielleicht hatte sie sogar recht, denn er hatte zwar gesehen, wie der Comte in das Zimmer Junes ging, aber mehr nicht. So unwahrscheinlich es auch schien, es konnte auch jemand anderer gewesen sein, der Junes Blut getrunken hatte.
    Runge mußte an das denken, was er in der Schloßchronik gelesen hatte. Wenn auch nur ein Funke Wahrheit an dem war, was darin stand, dann waren die Dinge wesentlich komplizierter, als de Marcin sie geschildert hatte.
    Runge entschloß sich, mehr über den Comte herauszufinden. Er wollte eindeutige Beweise. Tatsächlich erschien ihm auch Albert, das Faktotum, verdächtig. Er konnte von der Gestalt und seinen Bewegungen her durchaus der Blutmörder von der Landstraße sein.
    Runge ging ins Schloß zurück. Er nahm sich vor, von nun an stets äußerst vorsichtig und zurückhaltend vom Comte zu sprechen, wenn Ira in seiner Nähe

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