086 - Das Grab des Vampirs
schwarze Kohlen in den Höhlen. Sie zeugten von tiefer Trauer und Einsamkeit. Doch aus dem Mund ragten zwei daumenlange Reißzähne hervor. Der Kopf schien ohne Fleisch zu sein. Die Haut spannte sich über den Knochen.
Comte Maurice de Rochelles öffnete den Mund. Emilie blickte auf ein fürchterliches Raubtiergebiß. Sie versuchte zu schreien, aber nur ein heiseres Röcheln kam über ihre Lippen. Unzählige Polizisten befanden sich im Park; einige von ihnen waren vielleicht nur wenige Schritte von ihr entfernt; aber sie fand nicht die Kraft, sie zu rufen; ihre Stimme versagte ihr.
Der Comte bog ihren Kopf leicht zurück. Er blickte ihr in die Augen, und sie glaubte, so etwas wie Mitleid in seinen Augen zu entdecken. Er beugte sich zu ihr herab und seine Zähne suchten ihren Hals. Sie erwachte aus ihrer Starre und kämpfte verzweifelt, doch da biß er ruckartig zu, und es wurde dunkel um sie.
Der Comte de Rochelles hielt die erschlaffende Gestalt in seinen Armen und saugte ihr das Blut aus den Adern. Dabei zog er sich bis an den Baumstamm zurück, so daß sie kaum noch zu erkennen waren.
Lange Minuten verstrichen. Als der Comte sich endlich von Emilie löste, wirkte er kräftiger und energischer als vorher. Mit dem Blut der Frau schien neue Lebenskraft in ihn geflossen zu sein.
Er trat aus dem Schatten heraus und hob das Gesicht zum Vollmond empor. Blut bedeckte seine Lippen, sein Kinn und seine Brust. Er blieb mehrere Minuten in dieser Haltung stehen, offenbar ohne daran zu denken, daß ihn jemand entdecken könnte. In dieser Zeit wurde sein Gesicht wieder voller, und das Gebiß entwickelte sich zurück, bis es wieder normal aussah.
Der Comte stöhnte leise. Emilie hatte ihn von außerordentlichen Qualen befreit, aber ihr zierlicher Körper hatte nicht genügend Blut enthalten. Er hungerte nach noch mehr Blut.
Endlich kehrte der Comte in den Schatten zurück. Er beugte sich über die Tote, nahm sie auf und trug sie zum Rand der Klippe, um sie in die Tiefe fallen zu lassen. Dann verschwand er lautlos im Schloß.
Kurz darauf kamen zwei Polizisten an dem Baum vorbei, unter dem Emilie gestorben war. Einer von ihnen hob das Fahrrad auf und stellte es an den Baum.
Ira zog ein Kleid aus dem Schrank an und kam pünktlich zur verabredeten Zeit in die Halle des Schlosses hinunter. Sie hatte vor, Dietmar Runge zu informieren, wohin sie fuhr, aber der Comte Maurice de Rochelles wartete bereits auf sie. Er trug einen etwas altmodisch aussehenden schwarzen Anzug, ein weißes Rüschenhemd und ein schwarzes Cape. Sein bleiches Gesicht stand in hartem Kontrast zu dieser düster wirkenden Kleidung. Ira war versucht, ihm zu sagen, daß sie sein Aussehen als gar zu melancholisch empfand, aber dann mußte sie an June denken und schwieg.
Sie selbst trug ein langes, braunes Kleid mit einem äußerst bescheidenen Ausschnitt. Auch sie hatte sich ein Cape umgelegt.
„Sind Sie bereit?“ fragte der Comte.
Sie lächelte zaghaft. Ihr war nicht wohl in ihrer Haut, denn sie spürte, daß sie sich nicht richtig verhielt, aber sie wollte den Comte nun nicht mehr enttäuschen. Sie hatte gehofft, daß er selbst den Besuch bei seinen Freunden noch absagen würde, aber er änderte seine Pläne nicht.
„Ja“, sagte sie. „Wir können fahren.“
Er öffnete die Portaltür und ließ sie vorgehen. Seine Blicke richteten sich hungrig auf ihren fein geschwungenen Nacken. Seine unmerklich zitternden Lippen entblößten Zähne, die sich bereits wieder verändert hatten. Die Reißzähne waren bereits so lang, daß er sie nur mit Mühe verbergen konnte.
Wolken verhüllten den Mond, dennoch war es nicht sehr dunkel. Der Comte führte das Mädchen an einigen Polizisten vorbei zu einem Citroen-Modell 1938. Ira wäre überrascht gewesen, wenn er einen moderneren Wagen gehabt hätte; im Grunde hätte ein Vierspänner noch besser zu ihm gepaßt.
Als der Comte den Motor anließ, kam einer der Polizisten zu ihnen. Er klopfte an die Scheibe. Der Comte öffnete die Tür.
„Was gibt es?“ fragte er.
„Comte, darf ich fragen, wohin Sie fahren? Es könnte sein, daß der Inspektor es wissen will.“
„Nach St. Brieuc. Zu Freunden.“
„Danke.“
Der Polizist grüßte und trat zurück. Der Wagen rollte zum Tor hinaus. Im Dorf bog der Graf jedoch nicht nach St. Brieuc ab, sondern blieb auf der Küstenstraße, die nach Süden führte.
„Diese Bande!“ sagte er zornig. „Alles wollen sie wissen. Sie können einen nicht einmal für eine
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