086 - Und nachts kam der Vampir
zurückgekommen war, war der Fremde gerade aus dem Stall gekommen und hatte etwas verlegen gegrinst. Angeblich hatte er sich nur ein wenig umsehen wollen.
Auch heute nachmittag draußen am Hirtenberg, hatte er ihm nicht gefallen. Der Mann hatte ihn so komisch angesehen. So, als ob er etwas wüßte.
Aber er konnte ja nichts wissen.
Nur er wußte etwas.
Er — Herrman Kreger.
Ein Gefühl der Stärke bemächtigte sich seiner. Wie immer, wenn er zu seinem Freund ging.
Und wenn der Fremde wirklich lästig wurde, dann war das auch kein Problem.
Der Bursche ging am Mühlbach entlang. Im Wasser schnappten die Weißlinge. Der Bach schlängelte sich wie ein silberner Bandwurm von der Bergkuppe herab.
Fünfzig Meter vor ihm hoppelte ein Hase durch das Gras auf die andere Talseite zu. Dort lag ein faulender Stamm quer über dem Bach. Er glomm grünlich. Die Augen des Hasen leuchteten, als er einen Augenblick sitzenblieb, seine Löffel aufstellte und zu Herrman herüberäugte. Dann verschwand er im Dunkel des Waldrandes.
Herrman Kreger schritt jetzt schneller aus. Er kannte jeden Fußbreit Boden hier. Schon seit zwei Jahren kannte er nachts keinen Schlaf. Seit damals, als er eine eigene Kammer über dem Geräteschuppen bekommen hatte.
Die Nacht faszinierte ihn. Sie beflügelte seine Phantasie. Er stellte sich vor, daß er ein Riese sei, der gravitätisch über die Länder schreitet. Und die Grashalme unter seinen derben Stiefeln waren die Leute im Dorf, die er so sehr verachtete. Er stellte sich vor, wie er sie mit einem Tritt zerquetschen konnte. Manchmal blieb er auch stehen und drehte die Sohle auf der Stelle, wenn ihm jemand besonders Verhaßter unter den Stiefel geraten war. Den Breitinger tötete er immer auf diese Weise, und es machte ihm immensen Spaß, wenn er dessen Todesschrei nachlauschte.
Jetzt kam ihm das alles als kindisches Spiel vor. Denn jetzt hatte er die Macht, seine geheimsten Träume zu verwirklichen. Er erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem sich sein trostloses Leben zum Besseren gewendet hatte. Seine Gedanken glitten zurück in die Vergangenheit.
Es war an einem Sonntag gewesen.
Zwischen Mittag und fünf Uhr hatte der 16jährige frei. Es war die einzige Freizeit der ganzen Woche. Um fünf Uhr mußte er zurück sein, um die Tiere zu füttern.
Er ging ins’ Mühlbachtal hinaus. Freunde hatte er keine, und so war er allein. Schon seit Wochen benützte er seine freien Sonntagnachmittage, um zum Hirtenberg zu gehen. Die Höhlen hatte er zwar schon früher entdeckt, aber in der letzten Zeit hatten sie für ihn an Reiz gewonnen, weil er sich das Geld für eine starke Taschenlampe zusammengespart hatte. Jetzt konnte er weiter hineinsteigen, um seine Neugierde zu stillen. Er erforschte jede einzelne Höhle, fand zwischen zweien sogar einen Verbindungsgang, den man nur kriechend zurücklegen konnte.
Heute wollte er die ersten Skizzen anfertigen. Er hatte eine Schnur dabei, bei der er jeden Meter einen Knoten gebunden hatte, und ein Heft mit Millimeterpapier.
Er fing bei einer bekannten Höhle an. Er war schon oft dort gewesen. Sie war sein Lieblingsplatz, weil sie sehr geräumig war und er sich vorstellte, sie wäre sein Schloß.
Beim Abmessen der Breite löste sich plötzlich zwei, drei Kopflängen über ihm ein Stein. Knapp an ihm vorbei polterte der Stein zu Boden.
Herrman rückte ihn zurecht und stellte sich darauf, um in die entstandene Öffnung leuchten zu können.
Er nahm wohl wahr, daß es daraus hervorroch, doch die ständige Arbeit im Stall hatte seinen Geruchssinn weitgehend immun gemacht.
Dann leuchtete er hinein.
Nie zuvor in seinem Leben hatte er eine Fledermaus gesehen. Deshalb erschrak er jetzt. Das Tier flatterte matt, als der starke Strahl der Lampe es traf, und wich in den äußersten Winkel der Höhle zurück. Herrman sah, daß noch ein Ausgang aus der Höhle war, dessen Abmessungen in etwa dem Fahrgastraum eines kleinen Autos entsprachen. Das Tier war geblendet und stieß immer wieder gegen die Wände, bis es zu Boden fiel.
Herrman konnte mit seiner freien Hand gerade noch hinreichen und das zitternde Bündel ergreifen. Eine dunkle Ahnung sagte ihm, daß das Tier Hunger haben mußte. Die Ahnung stieg aus den Tiefen seines Unterbewußtseins. Er hatte sehr viel mit Tieren zu tun.
Er nahm das haarige, faltige Etwas und stieg damit in seine große Höhle zurück, um es genauer betrachten zu können.
Vorsichtig faßte er es an den Flügeln und zog es wie eine
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