086 - Und nachts kam der Vampir
ihm mit einem bösen Lächeln nach, wie er wieder im Hauseingang verschwand.
Seit zehn Jahren hatte er seine Demütigungen geschluckt, hatte sie hinuntergewürgt wie fette Engerlinge. Oft war er am Zerplatzen gewesen, doch bisher hatte er sich immer noch beherrschen können.
Doch jetzt machten ihm die kleinen und großen Demütigungen nichts mehr aus’. Im Bewußtsein seiner neuen Stärke ließen sich die Beleidigungen abstreifen wie ein Blatt, das einem der Herbstwind auf die Jacke geweht hatte. Andreas Breitinger konnte ihn nicht mehr beleidigen. Nein, der nicht!
Aber er würde Angst bekommen, wenn erst einmal mehr Leute aus dem Dorf ums Leben gekommen waren. Vielleicht ließ er auch zuerst seine Frau sterben, die Bäuerin. Dann würde für den Bauern das Leben zur Hölle werden. Ja — er würde sich noch genau überlegen, in welcher Reihenfolge er die Menschen im Dorf sterben ließ.
Alle.
Nacheinander.
Nichts konnte ihn mehr daran hindern. Ihn und den Tod, den er zum Freund hatte...
Herrman Kregers Augen leuchteten fanatisch auf. Er biß die Zähne zusammen und hörte das Knirschen in seinem Kopf.
Dann nahm er die Tasche und ging einkaufen.
Herbert Klein bediente heute nicht in seinem Laden. Auch seine Frau ließ sich nicht sehen. Christa, die Ladenhilfe, stand hinter der Theke, sie war allein im Laden.
Christa Wondraczek war keine Schönheit, eher das Gegenteil. Vielleicht mochte Herrman Kreger das Mädchen gerade deshalb. Wenn eine im Dorf überleben sollte, dann sollte sie das sein. Das Mädchen war auch die einzige im Dorf, die ihn nicht ständig gehänselt hatte, die auch einmal ein freundliches Wort für ihn übrig hatte.
Sie sagte auch jetzt nichts, als er vor der Ladentheke stand und nach Kuhstall stank.
»Grüß Gott, Herrman. Was darf’s denn sein?«
»Servus. Der Zettel liegt in der Tasche.«
Er schaute dem hohlwangigen schwarzhaarigen Mädchen zu, wie es den Zettel herausnahm und das Aufgeführte im Laden zusammensuchte. Sie war Vollwaise wie er. Auch sie hatte man aus einem Heim geholt, um ihr angeblich ein neues Zuhause zu schaffen. Doch das hatten weder der Kolonialwarenhändler Herbert Klein noch der Bauer Andreas Breitinger im Sinn gehabt. Sie hatten sich billige Arbeitskräfte geholt und kassierten dafür auch noch Geld vom Jugendamt.
Nein, die Christa würde er leben lassen.
Die Tasche war voll, als das Mädchen die einzelnen Posten auf dem Zettel abgehakt hatte.
Herrman Kreger wandte sich zum Gehen. Doch die Tür öffnete sich ohne sein Zutun. Ein anderes Mädchen stand draußen. Herrman wußte, wie es hieß. Sandrina Ballier, und es war zusammen mit seinen Eltern auf Sommerfrische auf dem Binder-Hof. Sie war eine dieser aufgetakelten Städterinnen, die hier zwar über alles die Nase rümpften, aber dann doch die niedrigen Preise genossen.
Auch jetzt rümpfte Sandrina Ballier die Nase. Diesmal sogar mit einiger Berechtigung.
»O je«, sagte sie pikiert. »Wo bin ich denn hier hingeraten? In einen Kuhstall?«
Und sie sah Herrman dabei so unmißverständlich an, daß es klar war, daß sie ihn für den Geruch verantwortlich machte.
»Können Sie sich nicht waschen, Mann?« sagte sie auch noch. »Die Pest verströmt ja ein Parfüm gegen Sie.«
Herrman Kreger stand starr. Seine Finger zitterten, ballten sich zur Faust und öffneten sich wieder.
Das hätte diese verzogene Göre nicht sagen dürfen. Nicht vor Christa Wondraczek. Vielleicht hätte er ihr ihre Worte durchgehen lassen. Sein Buckel war breit, und viel Dummheit der anderen hatte mit darauf Platz. Aber sie hätte ihn nie vor Christa Wondraczek beleidigen dürfen.
Das Mädchen schrak zusammen, als sie den eiskalten Blick aus den Tiefen seiner dunklen Augenhöhlen sah. Es Jag keine Verachtung in diesem Blick.
Nur der Wille zum Töten ...
Herrman Kreger senkte die Augen und trat zurück, wartete ab, bis Sandrina Ballier an ihm vorbei war, und verließ dann fluchtartig den Laden.
Der Vampir hatte ein neues Opfer ausgesucht...
***
Die Dämmerung kam um acht, und um neun war es dunkel. Herrman Kreger hatte sich unbemerkt aus dem Haus geschlichen.
Irgendwie beruhigte es ihn, daß auch dieser Mann, der beim Bauern wohnte, nicht im Dorf war. Er hatte mitbekommen, wie er einen Schlüssel verlangt hatte, weil er nachts nach Georgenburg fahren wollte, um dort einen Freund zu besuchen.
Der Fremde mischte sich für seinen Geschmack ohnehin viel zuviel in Angelegenheiten, die ihn nichts angingen. Als er vom Kaufmann
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