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0862 - Der Leichenmantel

0862 - Der Leichenmantel

Titel: 0862 - Der Leichenmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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stehengeblieben.
    »He, träumst du?«
    Ich schlenderte auf den Wagen zu. »Nein, ich träume nicht, würde es aber gern, wenn ich an die verdammte Gestalt denke.«
    Suko konnte mich verstehen. »Die ist verschwunden, John. Hat sich aus dem Staub gemacht, wie aufgelöst.«
    Ich lehnte mich an den Wagen. »Ja«, murmelte ich, »ja…« Dann schaute ich dorthin, wo das kleine Bergdorf Triviso lag. Schlimme Dinge schossen mir durch den Kopf, und ich fragte Suko: »Kannst du dir vorstellen, daß der Mantel noch nicht perfekt ist?«
    Mein Freund erschrak. »Moment mal, soll das heißen, daß dieser Typ, wer immer er auch sein mag, sich auch weiterhin auf die Suche begibt.«
    »Daran habe ich gedacht.«
    Suko verengte die Augen. »Wenn das stimmt, dann… dann leben die Bewohner von Triviso auf einem Pulverfaß.«
    »Richtig. Auf einem Pulverfaß. Und die Lunte brennt bereits…«
    ***
    Der Tag neigte sich dem Ende entgegen, und Naomi, die ruhig in ihrem Bett lag, spürte die Veränderung.
    Die junge Frau kannte sich aus. Die Veränderung war anders als sonst, es hatte nichts mit dem normalen Wechsel zwischen Tag und Nacht zu tun, in den sich noch der Abend hineinschob. Nein, hier ging etwas vor, hier war einiges nicht ins Ordnung, und das konnte nur derjenige spüren, der sehr sensibel war.
    So wie sie!
    Seit diesem intimen Zusammensein mit dem abtrünnigen Engel hatte sich auch bei ihr etwas verändert. Sie konnte es selbst nicht in klare Worte fassen oder begreifen, sie mußte es global nehmen.
    Naomi wußte jetzt, daß sie in der Lage war, bestimmte Dinge zu spüren und zu fühlen, die ihr ansonsten verborgen geblieben waren.
    Ihr Geist hatte sich auf eine gewisse Weise geschärft, und zwar für Dinge, die außerhalb des menschlichen Wahrnehmungsvermögens lagen. Sie konnte hinter die Dinge schauen, ohne allerdings genau zu begreifen, was dort lag.
    Es war unerklärlich, es gehörte zu einem System, an dem sie bisher nur gesprochen hatte. Und es mußte etwas mit dem zu tun haben, was sich im Kloster befand.
    Durch ihre Gefangenschaft hatte sie noch mehr an Sensibilität gewonnen. Naomi spürte etwas von diesem Netz, das nicht nur über ihr, sondern über dem gesamten Ort lag und sich allmählich zusammenzog. Irgendwann würde es auf sie niederfallen und sie umschlingen.
    Davor fürchtete sie sich, aber sie konnte es auch nicht verhindern und wegdrücken.
    Wenn sie den Kopf drehte, fiel ihr Blick auf das kleine Fenster. Dahinter hatte sich nichts verändert.
    Sie sah den Ausschnitt des Hangs, auf dem die Bäume wuchsen, die sich mit ihrem starken Astwerk in den Boden eingegraben hatten. Sie hörte aus den Nachbarzimmern Geräusche und leise Stimmen.
    Die Frappis waren so unwahrscheinlich nett und hilfsbereit. Nicht daß sie eine Fremde zu sich genommen hatten, nein, sie bemühten sich noch, die Verletzte nicht zu stören, und Naomi empfand es als unwahrscheinlich toll, daß auch noch die beiden Fremden für eine gewisse Weile im Ort geblieben waren. Sie bildeten ihrer Meinung nach einen gewissen Schutz, obgleich sie das ungute Gefühl in ihr nicht vertreiben konnten. Da braute sich etwas zusammen, es verdichtete sich, als wollten die Nonnen noch einmal nachfassen.
    Naomi wartete, was ihr schwerfiel. Am liebsten wäre sie aufgestanden, um sich selbst von gewissen Dingen zu überzeugen. Auch fürchtete sie sich vor der kommenden Nacht.
    Es würde etwas passieren. Es näherte sich etwas Schreckliches, doch sie wußte nicht, was es war.
    Sie lag still und mußte sich einfach fühlen wie eine Gefangene, nur diesmal in einer anderen Umgebung und nicht mehr innerhalb des Verlieses im Kloster.
    Jemand klopfte an die Tür.
    Damit begann das übliche Ritual. Man wartete nicht auf einen Ruf, derjenige, der etwas von ihr wollte, betrat kurz nach dem Klopfen das Zimmer, und das war in diesem Fall Anna Frappi.
    Lächelnd kam sie in das Zimmer. Auf einem Tablett brachte sie eine Teekanne, eine Tasse und einen Teller mit Gebäck. Sie stellte es ab und verteilte die Sachen.
    Nickend setzte sich Anna auf den Stuhl, der dicht neben dem Bett stand. »Wie geht es dir?« fragte sie.
    Diesmal bemühte sich Naomi um ein Lächeln. »Gut, denke ich. Besser als sonst.«
    »Das freut mich.«
    Behutsam schob Anna ein dickes Kissen hinter Naomi, so daß sie einen besseren Halt beim Essen bekam. Naomi mußte etwas zu sich nehmen. Sie schaute zu, wie die Frau den Tee einschenkte. Es war ein Gebräu aus einheimischen Kräutern, die in den Gärten

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