0863 - Auf den Schwingen des Todes
soeben die schreiende Frau, die er am Kragen ihres Pullis gepackt hielt, in die Luft. Ihr Körper zuckte, sie trat und schlug-nach dem Unheimlichen. Den störten die paar einkassierten Treffer nicht. Stattdessen fasste er ihr plötzlich unter den Pulli.
Das schrille Schreien der Unglücklichen erreichte für einen kurzen Moment eine neue, absolut unerträgliche Dimension - und brach abrupt ab. Ihre Glieder hingen schlaff herunter, ihr Kopf fiel zur Seite.
Mrs. Curtis würgte, als der Schwarze seine Hand zurückzog. Ein blutiges, noch zuckendes Herz zappelte darin.
Der Killer röhrte, als er sein Opfer achtlos fallen ließ und sich das Herz in den Mund stopfte.
Dann fuhr er herum. Rot glühende Augen musterten Mrs. Curtis. Eine gnädige Ohnmacht überkam sie, als sich der Teuflische ihr näherte.
***
Die dunkle Gestalt huschte über den nächtlichen Greenwood Cemetery. Sie blieb in den Schatten der Bäume und Büsche, um nicht gesehen zu werden.
Immer wieder schaute sich der Schemen um. Zielstrebig steuerte er die Friedhofskapelle an. Der Mond tauchte den gotischen Bau mit dem achteckigen Zwiebelturm in der Mitte und den vier kleineren Türmen drumherum in überirdisch schönes, weiches, silbernes Licht. Jeder Tourist hätte entzückt aufgestöhnt. Doch für jemanden, der etwas zu verbergen hatte, waren dies weniger gute Verhältnisse.
Die Gestalt huschte zur Kapelle hinüber. An der Südseite, direkt an der Mauer, begann sie den Rasen aufzugraben. Sie benutzte dabei die bloßen Hände. Erdbrocken und Grassoden flogen, während sie sich keuchend und schnaufend immer tiefer ins Erdreich vorwühlte. Nach etwa fünfzehn Zentimetern knirschte es plötzlich leise unter ihren Fingern.
Sofort hielt der nächtliche Gräber inne. Er zückte ein Messer und bohrte wie ein Besessener in der freigelegten Planke herum. Splitter flogen, dann brach das uralte Stück Holz in sich zusammen.
Der Gräber tastete vorsichtig in die Höhlung, die sich unter der Planke auftat. Seine Finger berührten einen kantigen Gegenstand. Ein zufriedenes Grunzen floss über seine Lippen, als er die kleine Holztruhe an sich nahm. Sein Gedächtnis hatte ihn nicht im Stich gelassen.
Er beließ alles so, wie es war und huschte in die Schatten zurück. Gleich darauf war er in den überirdischen Weiten der rund einhundertneunzig Hektar großen Nekropolis verschwunden.
***
Northeast Bronx, New York
»Was soll ich?«
»Hast du's mit den Ohren, Reggie? Ich sagte, du sollst mir dein geiles Gefährt für diese Nacht ausleihen«, erwiderte Mescalito Echavez. »Wäre das eventuell machbar?«
»Ich höre mich nicht nein sagen«, brummte Reggie Morales und zündete sich einen Joint an. »Wenn du's unbedingt haben willst. Was willst du denn damit?«
Der Gangboss lachte schmutzig. »Das geht dich einen feuchten Dreck an, Reggie. Aber ich habe heute meinen großzügigen Tag. Deshalb sag ich's dir. Komm mal her.«
Morales begann zu feixen, nachdem ihm sein Boss etwas geflüstert hatte und machte eindeutige Handbewegungen.
Zwei Stunden später, als die Gangmitglieder so richtig im Drogen- und Alkoholrausch versanken, fasste Shanna Rohbock Echavez an der Schulter. Der grinste sie an, nickte und erhob sich schwerfällig. Shanna kicherte und hakte sich bei ihm unter. Zusammen gingen sie zum Leichenwagen und setzten sich hinein. Echavez lenkte das Gefährt zu einem alten, verfallenen Friedhof drei Straßenzüge weiter. Schutt und Müll lag zwischen den teilweise windschief dastehenden, verrosteten Grabkreuzen und Statuen, die im bleichen Licht des Mondes schauerlich wirkten. Echavez fröstelte, als er den Leichenwagen durch das kleine Tor auf das Friedhofsgelände lenkte. Nein, er kam nicht gerne hierher, weil er diesen gottverdammten Platz fürchtete wie nichts sonst. Hier wanderten des Nachts die toten Seelen, hier fanden sie Zugang zu dieser Welt, davon war er fest überzeugt. Unglücklicherweise liebte Shanna mit ihrer morbiden Phantasie diesen Ort geradezu. Und weil er seine Freundin vergötterte und es überdies tödlich gewesen wäre, sich vor ihr und den anderen Gangmitgliedern eine Blöße zu geben, ging er mit ihr hierher, wann immer sie es wollte.
Neben einem köpf- und armlosen Engeltorso parkte er den Lincoln. Echavez fürchtete sich davor, den Leichenwagen zu verlassen. Shannas große, verlangend auf ihn gerichtete Augen halfen ihm dabei. Er lachte, als ihre Fingerspitzen kurz über seinen Oberschenkel fuhren, aber es klang eher wie das
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