0863 - Auf den Schwingen des Todes
Zweifel, es ist die Kirche, die auf dem Greenwood Cemetery erschienen ist«, flüsterte Father Rempel beinahe ergriffen, als er die Komplettzeichnung des Bauwerkes betrachtete. »Ich erkenne sie sofort wieder. Vor allem die auf dem Dachfirst sitzenden Dämonen sind unverwechselbar.«
Er blätterte nach vorne, wo sich die Einzelentwürfe der Gargoyles befanden. »Da, sehen Sie«, erläuterte er. »Dieser hier ist der Einzige mit einem annähernd menschlichen Gesicht, so, wie ich es Ihnen erzählt habe. Er war der Hauptangreifer. Und auch die anderen mit ihren Tierfratzen sind genau die, denen ich gegenüberstand. Sie sind hier als Schutzengel bezeichnet. Aber ich sage Ihnen, das sind keine Schutzengel, das sind fürchterliche Dämonen.«
»Hier, unter dem mit dem menschlichen Kopf steht ein Name«, sagte Nicole. »Wie heißt das? Pilgram? Nein, wohl eher Pilgrim. Ja, Pilgrim. So wie's aussieht ist er der einzige der Gargoyles, dem der Architekt einen Namen gegeben hat.«
»Ja«, bestätigte Zamorra. »Fassen wir also zusammen. Wir wissen nun, dass diese geheimnisvolle, aus dem Nichts erscheinende Kirche irgendwann mal, der Sprache nach würde ich auf Anfang 18. Jahrhundert tippen, auf einem ›sanften, grünen Hügelein hoch eyber der Stadt zur Ehre des Höchsten‹ gebaut wurde. Mehr steht da leider nicht. Es kann sich aber durchaus um die Greenwood Heights handeln. Der Baumeister dürfte wohl ein Deutscher gewesen sein.«
»So sehe ich das auch«, pflichtete ihm Father Rempel bei. »Leider macht uns dieses Buch nicht viel schlauer als zuvor. Wir haben nach wie vor keinen blassen Schimmer, was damals wirklich passiert ist.«
»So ist es«, sagte Nicole. »Wir können nach wie vor nur auf wenige Informationen zurückgreifen und benötigen derer wesentlich mehr. Klar ist auch, dass wir heute Nacht wohl etwas zu spät auf den Friedhof gegangen sind. Die Morde wurden zwischen neun und zehn Uhr abends begangen. Da liegt es nahe, dass die Kirche wohl zu dieser Zeit wieder aufgetaucht ist. Oder liege ich da völlig daneben?«
»Kann sein, kann aber auch nicht sein«, erwiderte Zamorra grinsend. »Hauptsache, du liegst von Zeit zu Zeit neben mir. Aber du hast recht. Wir hätten nicht erst kurz vor Mitternacht gehen sollen.«
»Ein Versäumnis, das ganz sicher zu beheben ist«, behauptete der Father. »Ob wir etwas gegen fehlende Informationen tun können, weiß ich allerdings nicht. Ich hätte da aber eine eventuelle Möglichkeit anzubieten.«
»Und die wäre?«
»Die Brooklyn Historical Society. Dort ist so gut wie alles zur Geschichte Brooklyns zu finden.«
»Hört sich zumindest mal vielversprechend an.« Zamorra nickte. »Ich denke, dass Sie und Nicole zusammen dieses Feld beackern sollten, während ich mich um etwas anderes kümmere. Zu klären wäre auch noch die Frage, wie dieses Buch hier, das augenscheinlich Solomon Winghart gehörte, ausgerechnet in das Appartement von Max Cesar Curtis kommt. Hatten Curtis und Winghart etwas miteinander zu schaffen? Oder hat doch Mrs. Curtis den Schmöker gestohlen? Zumindest besteht jetzt keinerlei Zweifel mehr darüber, dass Winghart und diese Schutzengelkirche in einem ursächlichen Zusammenhang stehen, wie immer dieser auch aussehen mag.«
Zamorra schob die Kaffeetasse beiseite und erhob sich schwungvoll.
»Ausführung«, befahl er.
***
Kurze Zeit später betraten Nicole und der Father das Gebäude der Brooklyn Historical Society, die laut Letzterem mehr als 9000 Schriftstücke und Objekte zur reichen Geschichte des größten New Yorker Stadtteils verwaltete. Der Senior Pastor fragte nach Charles McAllister und wurde gleich darauf von einem kleinen, grauen Männchen mit wachem, intelligentem Blick hinter einer viel zu großen Brille freundlich begrüßt. Bei Nicole überschlug sich McAllister geradezu und attestierte ihr »wunderbare, eindeutig klassische Schönheit«. Gegen derartige Komplimente war auch Nicole nicht gefeit und nahm sie sichtlich geschmeichelt entgegen.
»Mein alter Freund Charles ist einer der herausragenden Experten, was Brooklyner Geschichte anbelangt. Das darf ich mit Fug und Recht behaupten«, sagte der Senior Pastor. »Wenn uns jemand weiterhelfen kann, dann ganz gewiss er.«
»Danke, Nathan, zu viel der Ehre«, gab McAllister lächelnd zurück. »Womit kann ich euch also behilflich sein?«
Father Rempel nannte ihr Anliegen.
»Hm, hm, eine Kirche auf den Greenwood Heights etwa Anfang des 18. Jahrhunderts?« Er strich nachdenklich über
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