0863 - Auf den Schwingen des Todes
seinen grauen Rundbart, während er in dem staubigen, etwas muffigen Zimmer auf und ab ging. »Aus dem Stegreif kann ich diese Frage nicht beantworten. ›Schutzengelkirche‹ hieß sie, sagtest du? Ein deutscher Baumeister? Nun, in Brooklyn wurde im Laufe der Jahre viel gebaut. Sehr viel. Auch von Deutschen.« Er grinste breit. »Und wenn es diese Kirche tatsächlich gab, muss es sich bestenfalls um eine Fußnote der Geschichte gehandelt haben. Wirklich wichtig kann sie nicht gewesen sein. Lass uns einfach mal nachschauen.«
McAllister führte seine Gäste in einen womöglich noch verstaubteren Bibliothekssaal, sah die Reihen der Bücher entlang, zog einige seiner Ansicht nach geeignete Nachschlagewerke aus der Phalanx der schweinsledergebundenen Buchrücken, ergänzte sie durch Einzeldokumente und legte all dies auf einem Tisch ab.
»So, dann wollen wir mal«, sagte McAllister und ließ Nicole die Wahl des ersten Buches. Die entschied sich für eine Geschichte der Brooklyner Kirchen, war damit aber wenig erfolgreich.
Der erste Erfolg zeichnete sich dann aber nach gut zweistündigem Suchen ab. Er war Nicole vergönnt, die nun die privaten Aufzeichnungen eines gewissen Ruud van Bronckhorst studierte. Van Bronckhorst war ein Nachfahre jener holländischen Einwanderer, die 1636 den kleinen Ort Breuckelen gegründet hatten, aus dem später, durch Zusammenschluss vieler Dörfer und Städte im Jahre des Herrn 1898 die eigenständige Stadt Brooklyn entstanden war. In seinen Aufzeichnungen befasste sich van Bronckhorst, der zwischen 1714 und 1723 als Bürgermeister Breuckelens gedient hatte, mit gemeindepolitischen Angelegenheiten und prahlte mit zahlreichen amourösen Abenteuern, die ihn »ins Bette einer jeglichen begehrenswerten Dame im Orte Breuckelen« geführt hatten.
»Ein toller Hecht«, sagte Nicole und gähnte gelangweilt. Sie wollte die zusammengehefteten Einzelblätter gerade beiseitelegen, als sie plötzlich stutzte.
»Na, was haben wir denn da?«, murmelte sie und las interessiert. Van Bronckhorst äußerte sich eifersüchtig über den preußischen Pfaffen Alfred Eisenpreis, der mit dem Schiffe EHRENGOLD im Jahre des Herren 1715 in der »Neuen Welt angekommen sey, um hier Gott unseren Herrn mit einem wunderbaren Kirchenbau zu Ehren der Schutzengelein zu loben und zu preysen«. Dies und sein »schmierig Lächeln« habe ihm die Herzen der schönsten Damen Breuckelens zufliegen lassen, und er habe sich »reychlych bei denen bedienet und schadlos gehalten«, was einem Pfaffen aber gar nicht zustünde. Van Bronckhorst erzählte weiter, dass er mit seinem Freunde Stephen O'Brien zusammen »wegen des in der Wirklichkeit gar gräulig Aussehens der Schutzengelein Maßnahmen eyngeleitet« habe und Eisenpreis danach samt seiner Kirche in kurzer Zeit »verschwunden gewesen seye«.
»Das ist er zweifellos«, murmelte Nicole, nachdem sie diesen kurzen Absatz den beiden anderen vorgelesen hatte. »Alfred Eisenpreis, ein preußischer Pfarrer also, hat die Kirche gebaut. Erinnert mich irgendwie an Magnus Friedensreich Eysenbeiß.«
»Wie bitte?«, fragte Father Rempel.
»Ach, nichts, ich habe nur laut gedacht. Auf jeden Fall scheint dieser van Bronckhorst eine Privatfehde gegen Eisenpreis angezettelt zu haben, weil ihm dieser die Frauen ausspannte. Die etwas nebulöse Formulierung lässt darauf schließen, dass er erfolgreich war, in welcher Form auch immer.«
Sie suchten nach dem Namen Alfred Eisenpreis, fanden ihn aber ansonsten nicht mehr. Diese Aufzeichnung van Bronckhorsts war der einzige noch existierende Hinweis auf ihn. Auch die Persönlichkeit Stephen O'Briens blieb im Dunkel der Geschichte verborgen.
»Viel ist's ja nicht, aber immerhin. Wir sollten nicht undankbar sein. Jetzt habe ich aber einen Bärenhunger«, stellte Nicole nach ihrer fünfstündigen bibliophilen Tätigkeit fest. »Wollen die Gentlemen mich vielleicht zum nächsten Restaurant begleiten? Ich schmeiße eine Runde Fastfood. Mehr gibt meine schmale Reisekasse leider nicht her, da mein Herr und Meister mich im Allgemeinen äußerst knapp hält.«
Rempel und McAllister nahmen erfreut an.
***
Zwischen den Welten:
Pilgrim saß mit den anderen fünf Gargoyles auf dem Dachfirst der Schutzengelkirche. Er dehnte seinen Oberkörper, trommelte sich auf die Brust und stieß ein infernalisches Kreischen aus. Das graue Wabern, das überall um sie und sogar in ihnen war, verschluckte es. Das Wabern, das sie so sehr hassten, weil es den Zustand des
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