0866 - Die Herrin der Raben
Mission, die mir, auf mich selbst bezogen, viel zu groß erscheinen würde.«
»Danke. Nun, da ihr Kapuziner mit der Kaisergruft ein großes Stück österreichische und deutsche Geschichte verwaltet und auch sonst gut informiert seid, meine Frage: Kennst du jemanden, der irgendwie mit Raben in Zusammenhang gebracht wird oder wurde?«
Der Prior dachte einen Moment nach und strich sich dabei über den Bart. »Seltsam, dass du das fragst. Ich kenne mich in der Tat ziemlich gut mit der Geschichte des Habsburger Hofes hier in Wien aus. 145 Menschen sind in der Kaisergruft direkt unter der Kirche bestattet, darunter zwölf Kaiser, siebzehn Kaiserinnen, zahlreiche Prinzen und Prinzessinnen und jede Menge Erzherzöge und Erzherzoginnen. Ja, wir wachen hier über die Vergänglichkeit allen Glanzes, aller Macht und aller Herrlichkeit.«
Er blickte Claudius direkt ins Gesicht und lächelte. »Entschuldige, Bruder, ich schweife etwas ab. Vielleicht doch ein Gläschen Rotwein? Ein wunderbarer österreichischer Zweigelt, wie ich dir versichern darf. 2004er-Jahrgang. Nein? Nun gut. Was ich eigentlich sagen wollte: Mir fällt da tatsächlich jemand ein. Zu Zeiten der Kaiser Ferdinand und Leopold gab es eine betörend schöne Gräfin bei Hofe. Theresia Maria von Waldstein hieß sie. Offiziell wird sie in keiner Überlieferung erwähnt. Es gibt allerdings ein paar private Aufzeichnungen, so die des Obersthofmeisters August von Dietrichstein. Er schreibt in mehreren Briefen an seinen Bruder, dass er eine heiße Affäre mit der Gräfin hattè, sie dann aber verstieß, weil sie der Hexerei verdächtigt wurde. Laut seiner Aussage wurde sie immer von einer großen Anzahl Raben begleitet, wenn sie ausritt oder sich sonst wie im Freien aufhielt. Er bezeichnet sie sogar einmal als die Herrin der Raben.«
Bruder Laurentius trank sein Glas auf einen Zug aus und schenkte sich nach. »Das ist es, Bruder Claudius, was ich mit seltsam meine: Auch hier werden Raben und dämonische Umtriebe in einen engen Zusammenhang gebracht.«
»Ja, äußerst interessant. Von welchen Jahren sprechen wir? Und was wurde aus der Hexe? So sie denn tatsächlich eine war.«
»Nun, davon dürfen wir ausgehen. Es existiert ein Tagebuch der Kaiserin Eleonora Magdalena Gonzaga, von dem es eine Abschrift hier im Kapuzinerkloster gibt. Darin steht, dass im Jahre des Herrn 1679 zwei tapfere Mönche bei ihr vorsprachen, um die heilige Kreuzpartikel zu bekommen. Damit wollten sie die gräfliche Hexe zurück zur Hölle schicken. So ähnlich drückt sie sich aus. Es scheint den Mönchen auch tatsächlich gelungen zu sein. Die Kaiserin schreibt später kurz, dass die Hexe besiegt wurde, dass dabei aber die heilige Kreuzpartikel verloren ging.«
»Ist das glaubhaft?«
»Schwierig zu sagen. Tatsache ist, dass die heilige Kreuzpartikel nicht verschwunden ist. Das Stück aus dem Kreuze Christi lagert seit Jahrhunderten hier im Kloster an einem geheimen Ort. Kaiser Leopold hat es uns Kapuzinern 1683 eigenhändig zur Bewachung überlassen. Es gibt einige Altphilologen, die diese ganzen Tagebucheintragungen der ausschweifenden Fantasie der Kaiserin zuschreiben. Eleonora war nämlich eine sehr gebildete und fromme Frau, schrieb selbst Gedichte und leitete eine literarische Akademie. Gut möglich, dass sie sich tatsächlich an einer Art antikem Horrorroman versuchte, verpackt in die Form eines Tagebuches.«
»Und was glaubst du?«
»Nun, ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Und bisher musste ich mir darüber keine weiterführenden Gedanken machen. So kann und will ich dir nur die Fakten nennen. Interpretiere sie selbst.«
»Hat die Kaiserin die Namen der beiden Mönche erwähnt?«
»Nicht explizit. Aus einigen Beschreibungen darf aber geschlossen werden, dass es sich bei einem um den berühmten Abraham a Sancta Clara handelte. Über den anderen ist nichts bekannt.«
Claudius nickte. Bruder Franziskus kam ihm in den Sinn. Der hatte sich exakt in den Jahren 1679/80 in Wien aufgehalten. Zufall? Er glaubte nicht daran.
Bruder Claudius ließ sich die heilige Kreuzpartikel zeigen. Der Prior holte das Kleinod in persona, da nur er und sein Stellvertreter um den Lagerungsort wussten.
»Ist diese Reliquie wirklich echt?«
»Man muss davon ausgehen«, erwiderte Laurentius. »Einige wundersame Geschehnisse ranken sich darum. So überstand die heilige Kreuzpartikel 1668 ein Großfeuer im Leopoldinischen Trakt. Obwohl das ganze Gebäude bis auf die Grundmauern niederbrannte, fand man in
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