0866 - Die Herrin der Raben
sie fähig war, in ihre Stimme.
»Mädchen, wenn du schon zaubern willst, solltest du es auch richtig machen«, gab Labartu zurück. »Du spielst mit Kräften, die du nicht kontrollieren kannst. O ja, ich werde wieder den Schwarzen Tod über diese Welt bringen und damit meiner Bestimmung folgen. Aber warum sollte ich mich auf den Hofstaat beschränken?«
»Weil ich es dir befehle!«
»Du willst mir befehlen, armselige Hexe? Wie auch. Die Macht deines Zaubers ist durchlässig, sie zwingt mich nicht. Ein winzig kleiner Fehler nur, ein kleines Husten, macht mich frei. Das alleine ist es, wofür dir mein Dank gebührt und wofür ich dich am Leben lasse. Vorerst. Weißt du was, Hexe? Ich werde die ganze Stadt aus meinem Kelch beglücken, das ganze Land, die ganze Welt. Nichts und niemand soll dieses Mal meinem Atem entgehen. Auch die Kaiserin nicht. Aber ich werde klein anfangen und die Schrecken allmählich steigern. Das sei meine Labsal.«
Labartu tat zwei Schritte aus dem Bannkreis. Zu Tode erschrocken sah Theresia Maria, dass ihr das keinerlei Mühe bereitete. Wimmernd sank die Hexe zu Boden, als die Dämonin neben ihr stand. Pestilenzartiger Gestank breitete sich aus, wurde unerträglich, nahm Theresia Maria fast den Atem und das Bewusstsein. Sie wollte sich auf ihre Bannformeln konzentrieren, die Dämonin doch noch zwingen, schaffte es aber nicht.
Labartus Gestalt leuchtete einen Moment lang grellrot auf. Dann verpasste die Schwarzblütige der Hexe einen heftigen Tritt. Theresia Maria glaubte, ein riesiger Hammer habe sie getroffen. Sie schlitterte über den Boden und knallte gegen die Wand. Dort blieb sie verkrümmt liegen. Verzweifelt rang sie nach Luft.
Nicht schon wieder…
Rote Schlieren tanzten vor ihren Augen. Trotzdem bekam sie mit, wie Labartu zur Tür hinausschritt. Im Ankleidezimmer kamen ihr die Raben in den Weg. Durch den Türspalt sah die Hexe, wie schwarzes Wallen aus dem seltsamen Kelch die Tiere einhüllte.
Dann schwanden ihr die Sinne.
***
Gegenwart:
Während Bruder Claudius den Kontakt zu den Kapuzinern suchte, gingen die beiden Franzosen frühstücken. »Mit vollem Magen lassen sich leichter Pläne schmieden«, bestimmte Nicole.
Zamorra schmunzelte. »Schon die alten Römer sagten: Ein voller Bauch studiert nicht gern.«
»Die alten Römer sind tot, aber dieses hübsche Café beim Dom hat's mir angetan. Wer in Wien war und in keinem Café, war nicht in Wien. Außerdem wolltest du doch den Mund halten und mir nicht widersprechen.«
Zamorra knurrte werwölfisch. »Was schert mich mein Geschwätz von gestern?«
Immerhin: Pläne schmieden war bitter nötig. Bisher hatten sie keine Idee, wie sie die blonde Frau finden sollten.
Sie gingen zum nur zwei Minuten entfernten Stephansplatz, den Graben entlang, vorbei an der Pestsäule. Bereits um diese frühe Zeit bevölkerten Scharen von Touristen die Fußgängerzone, zwei Drittel von ihnen Japaner. Eine deutsche Reisegruppe stand vor der Pestsäule und ließ sie sich erklären.
»Kostenlose Führung«, flüsterte Nicole augenzwinkernd und stellte sich so daneben, dass sie alles verstehen konnte. Der Führer erzählte in seiner unnachahmlichen Wiener Art gerade, dass die Säule achtzehn Meter hoch sei. Am 18. Oktober 1679, als die Pest in Wien am schlimmsten wütete und bereits Zehntausende von Opfern gefordert hatte, hatte Kaiser Leopold I. gelobt, ein prachtvolles Denkmal aus Marmor zu stiften, wenn der Schwarze Tod aus Wien weiche. »Jo, sehn's, meine verehrten Damen und Herren, da auch der Pest der kaiserliche Wunsch Befehl war, verschwand sie wenige Wochen später aus der Stadt. Und so wurde die versprochene Pestsäule am 17. Juni 1680 eingeweiht. Aus Marmor war's jedoch net, nur aus Holz. Kaum war die Pest weg, litt der Kaiser Leopold unter plötzlichem Gedächtnisschwund. Das Wort Marmor wollt ihm einfach net mehr einfallen.« Bei der Einweihung habe der berühmte Augustinermönch Abraham a Sancta Clara seine Rede »Danck und Denckzahl« gehalten. Aber 1694 sei die Säule, die eine in die Höhe ziehende Wolkenpyramide mit neun Engeln darauf und der heiligen Dreifaltigkeit an der Spitze zeigt, dann doch noch aus feinstem Untersberger Forellenmarmor gestaltet worden.
Zamorra hörte ebenfalls zu, blickte aber immer wieder nach oben. Überall flatterten Raben. Als sie zum Stephansplatz weitergingen, der sich weitläufig vor dem mächtigen Stephansdom ausbreitete, nahm die Anzahl der schwarzen Gesellen rapide zu. Sie saßen auf der
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