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0866 - Die Herrin der Raben

0866 - Die Herrin der Raben

Titel: 0866 - Die Herrin der Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Schwarz
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wortgewaltigen Augustiner-Barfüßer noch aus Jugendtagen. Beide stammten aus Krähenheimstetten am Rande der Schwäbischen Alb und hatten sich schon früh zahlreiche theologische Rededuelle geliefert, bei denen Johann Ulrich Megerle, wie Abraham a Sancta Clara mit bürgerlichem Namen hieß, ihn regelmäßig in Grund und Boden geschwatzt hatte. Was Wunder, dass er am Hofe von Kaiser Leopold I. und beim gemeinen Volk gleichermaßen ob seiner oft mehr als deutlich ausfallenden Predigten beliebt war. Franziskus freute sich, dass der Kontakt zu Abraham während all der Jahre nie gänzlich abriss und sie sich gegenseitig besuchten, wann immer es ihre Zeit zuließ. Dass er weitaus öfter nach Wien kommen musste als dass es Abraham zu ihm nach Maulbronn schaffte, machte ihm dabei nichts aus.
    Als die elfte Stunde anbrach, erblickte Bruder Franziskus in der klaren, eiskalten Luft schon von Weitem die mächtigen Wiener Stadtmauern, zu deren Füßen sich die Vorstädte ausbreiteten. Mit kurzem Stirnrunzeln nahm der Mönch zur Kenntnis, dass Leopoldstadt, auf das er schaute, wie ausgestorben wirkte. Ein Bild, das er selbst in den tiefsten Wintern bisher noch nicht so wahrgenommen hatte. Normalerweise herrschte hier viel Betrieb.
    Als er durch Leopoldstadt ritt, kam ein abgerissen wirkender Mann aus der nächsten Seitengasse. Er zog eine hölzerne Karre, deren Räder mit dicken Lumpen umwickelt waren.
    Bruder Franziskus erschrak zutiefst. Er wusste nur zu genau, was das bedeutete. Der Mann da vor ihm mit den ausgemergelten Gesichtszügen und den tiefen schwarzen Ringen unter den Augen war ein Pest- oder Siechknecht. Er umwickelte die Räder mit alten Textilien, um den Menschen das Geräusch des sich nähernden Todes zu ersparen.
    Franziskus, der im ersten Moment das dringende Bedürfnis verspürte, sofort umzukehren und in scharfem Galopp das Weite zu suchen, wurde grausam bestätigt.
    »Leute, bringt eure Toten heraus!«, rief der Siechknecht mit lauter Stimme. Tatsächlich wurde umgehend eine Haustür geöffnet und noch eine und noch eine. Vermummte Menschen trugen von schwarzen Beulen übersäte Leichname heraus, legten sie stumm auf dem Karren ab und verschwanden umgehend wieder in ihren Häusern. Niemand kümmerte sich um den einsamen Reiter. Mühsam zog der Siechknecht den Wagen an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Als ihn die ersten üblen Gerüche erreichten, wendete der Mönch rasch sein Pferd, um aus der Reichweite des Gestanks zu kommen.
    Bruder Franziskus schlug gleich mehrere Male das Kreuzzeichen. »Gott beliebt es, sein Strafgericht erneut über uns arme Sünder kommen zu lassen«, murmelte er. »Der Schwarze Tod ist zurückgekehrt. Wie furchtbar.«
    Eine Stunde später ritt Franziskus nach nur kurzer Befragung durch eines der Wiener Stadttore. Hinter den Mauern pulsierte das Leben, so, als sei es den Menschen völlig egal, was sich außerhalb der Befestigungen in den Vorstädten ereignete.
    Franziskus lenkte sein Pferd durch die engen, kopfsteingepflasterten Gassen zwischen den hohen, zum Teil fünfstöckigen Häusern hindurch. Er gedachte noch eine Kleinigkeit in der Schänke »Zum roten Dachel« am Fleischmarkt zu essen, bevor er weiter zum Kloster Maria Brunn der Augustiner-Barfüßer ritt. Im »Roten Dachel« gab es den besten Schweinebraten, den er kannte. Das ließ er sich nicht entgehen, wenn er in der Stadt weilte. Zudem bekam er hier viele Neuigkeiten mit und liebte es, den hier einkehrenden Bänkelsängern zuzuhören.
    Franziskus sah seinen Freund früher, als er dachte. Schon am Beginn des Fleischmarkts hörte er eine donnernde Stimme, die er nur zu gut kannte. Zudem stieß er auf eine große, andächtig lauschende Menschenmenge. Sie hatte sich im Halbrund um den Redner versammelt, der auf einem Fass stand und von seiner erhöhten Warte aus wild gestikulierend predigte.
    Der große, massige Mann mit den kurzen, blonden Locken, dem schwarzen, dünnen Schnurrbart und den stechenden Augen, in das ebenfalls schwarze Augustinergewand gekleidet, hatte sich den Schwarzen Tod zum Thema erwählt.
    Sie beschäftigen sich also doch damit, ging es Franziskus durch den Kopf, während er gebannt zuhörte.
    »Es sei gleich morgen oder heut, sterben müssen alle Leut«, rief Abraham a Sancta Clara gerade. »Aber höret: Noch hat der Schwarze Tod die Mauern der Stadt nicht übersprungen, ihr Leute. Und wenn ihr, die ihr das Strafgericht unseres Herrgotts herausgefordert habt, ab heute wieder

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