0866 - Die Herrin der Raben
die Schreckliche nicht eine Art Kelch vor dem Busen? Ja, es musste sich um einen weiblichen Dämon handeln, die entsprechenden Attribute waren nicht zu übersehen. Zeigte sich ihr Gesicht nicht furchtbar von Pestbeulen entstellt? Und dieser Ekel erregende Gestank, den sie verströmte…
Franziskus würgte. Abraham hielt sich ein wenig besser. Gemeinsam traten sie auf die Dämonin zu.
Labartu zischte etwas Unverständliches. Sie hob den Kelch. Schwarz leuchtender, grauenhaft stinkender Nebel strömte daraus hervor. Wie ein Schleier tanzte er in der Luft, bevor er sich blitzschnell auf die beiden Mönche stürzte, als sei er ein lebendes Raubtier.
Franziskus und Abraham schrien auf, schlugen mit den Kreuzen um sich. Dort, wo die geweihten Gegenstände den Pestodem trafen, teilte er sich, verging in einem hässlichen Zischen. Es war jedoch nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Kelch stieß weitere Nebelschlieren aus, die die entstandenen Lücken füllten.
Franziskus sah als Erster ein, dáss sie so chancenlos waren, auch wenn sie die Exorzismen des Rituale Romanum zitierten, in der Eile und in großer Angst gefangen höchstwahrscheinlich nicht korrekt. Deswegen griff der Zisterzienser die höhnisch grinsende Dämonin direkt an.
Zwei Schritte brachten ihn vor Labartu. Bevor er der Furchtbaren jedoch das Kreuz auf die Stirn drücken konnte, fuhr ihre linke Faust hoch. Sie traf Franziskus am Handgelenk. Ein furchtbarer Schmerz durchzuckte ihn, pflanzte sich durch den Arm in die Brust fort und lähmte ihn, während das Kreuz durch die Finsternis wirbelte und irgendwo auf das hier schneefreie Kopfsteinpflaster klirrte.
Ein erneutes Zischen stieg aus Labartus Kehle. Es verhieß Franziskus einen qualvollen Tod. Die Visage der Dämonin verzerrte sich noch mehr, während ihr gesamter Körper in einem starken Rot zu glühen begann. Schwarz wie Kohlen stachen ihre Augen daraus hervor. Sie packte den Zisterzienser am Hals, hob ihn spielerisch leicht hoch und ließ ihn mit zuckenden Beinen und um sich schlagenden Armen in der Luft hängen.
Franziskus war eigentlich schon tot.
Da geschah das Wunder.
Ein Engel des Herrn erschien auf dem Schlachtfeld.
***
Gegenwart:
Zamorra, Nicole und Bruder Claudius saßen im berühmten Café Sacher, erfreuten sich an der prunkvollen, im typischen Sacher-Rot gehaltenen Einrichtung und ließen sich jeweils eine noch berühmtere Torte selbigen Namens kredenzen.
»Keine Ahnung, was an der so gut sein soll«, moserte der Zisterzienser. »Viel zu trocken, viel zu viel Schokolade drin. Ohne Kaffee kriegt die doch keiner runter.«
»Davon mal abgesehen, dass es weltbewegendere Dinge zu besprechen gibt, hast du recht«, pflichtete ihm Nicole bei.
Zamorra erzählte Claudius von ihrer seltsamen Begegnung. »Die Frage ist nun, ob wir Amber Haggerman trauen können«, schloss er.
»Ich denke schon«, sagte Nicole. »Sie blieb nämlich ganz cool, als ich und Merlins Stern zusammen direkt neben ihr weilten. Man erinnere sich daran, dass selbige Konstellation in der Traumzeit Svantevit zur sofortigen panischen Flucht veranlasste. Er hatte die Hosen gestrichen voll, weil er glaubte, das Flammenschwert könnte entstehen, bekanntlich die einzige Waffe, vor der er sich fürchtet. Also ist klar, dass Amber Haggerman unmöglich Svantevits Flammenfratze in sich beherbergen kann.«
»Ich bin überzeugt, dass Haggerman nicht lügt«, schaltete sich nun Claudius ein. »Was ich zu erzählen habe, ergänzt die Geschichte der Engländerin in perfekter Weise.«
Nicole pfiff leise durch die Zähne. »Da sind wir aber gespannt. Schieß los, Claudius.«
Der Mönch berichtete in allen Einzelheiten.
»Verblüffend, wie sich die Dinge manchmal fügen«, kommentierte Nicole. »Somit ist klar, dass wir es tatsächlich mit einer Hexe zu tun haben. Gräfin Theresia Maria von Waldstein also. So gesehen sollten wir den Hinweis der Haggerman, dass die Gefahr von den Stephansdom-Katakomben ausgeht, sehr ernst nehmen.«
»Ja, Nici, das sehe ich genauso. Ich schlage vor, dass wir uns dort unten schon mal vorab umsehen. Heute Nachmittag ist eine Führung. Die machen wir mit.«
Kurz vor halb fünf Uhr abends fanden sich die drei Dämonenjäger im linken Seitenschiff des Domes ein. Nicht weit vom Haupt alt ar entfernt, direkt unter dem Nordturm, führte eine breite Treppe in die Tiefe. Ein Pater holte die rund vierzig Neugierigen ab und geleitete sie in die nicht sehr tief liegenden »Crufften«, wie sie im
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