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0866 - Die Herrin der Raben

0866 - Die Herrin der Raben

Titel: 0866 - Die Herrin der Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Schwarz
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gottgefälliger lebt, wird dieser Kelch an euch, an uns allen vorbeigehen, dessen könnt ihr gewiss sein. Ja, die Pestilenz ist eine Strafe Gottes, ein giftiger Pfeil, den seine Hand abschießt, wie es die göttliche Schrift in vielfältiger Weise belegt. Die Bibel tut uns kund, dass die Pest zudem eine Rute ist, die Gottes Hand flechtet. Und der Baum, von dem er sie flechtet und den ich mich traue, euch zu zeigen, ist die Sünde. Ihr Leute, haltet ein, unflätig zu saufen, Huren und Tiere zu besteigen, arrogant an den Armen und Hilfsbedürftigen vorbeizugehen und anderen das Lebenslicht auszublasen. Dann ist gewiss, dass die Pestilenz keine Gasse und keine Straße der Stadt durchstreift, dass sie vor den Toren bleibt und wir nicht Tausende von Toten begraben müssen.«
    Eine gute Stunde predigte Abraham in seiner derben, dem Volk aufs Maul schauenden Art. Dann stieg er vom Fass, und die Menschenmenge löste sich langsam auf. Franziskus spürte den leichten Optimismus, der die Menschen erfasst hatte. Abraham gab ihnen das Gefühl, durch besseren Lebenswandel die Katastrophe noch selbst abwenden zu können. Dass sich Gott aber nicht ins einmal angefangene Handwerk pfuschen ließ, das wusste er so gut wie Abraham. Hatte das Strafgericht erst einmal angefangen, zog es der Herr gnadenlos durch.
    Abraham und Franziskus begrüßten sich herzlich. »Schlechte Zeiten bringst du mit, Freund«, sagte der Wiener Prediger. Sie ließen sich die Wiedersehensfreude dennoch nicht verderben und aßen im »Roten Dachel« zu Mittag. Danach holte Abraham sein Ross und nahm den Zisterzienser mit zum Kloster Maria Brunn, wo er ihn bei sich einquartierte.
    Am nächsten Tag begleitete Bruder Franziskus seinen Freund Abraham durch die Vorstädte Wiens, wo die Seuche bereits bedenkliche Ausmaße annahm. Die beiden Mönche trafen Pestleichen an, die viele Stunden unbeachtet vor den Häusern lagen. Hunde und Ratten bissen daran herum.
    »Weißt du, was mich seltsam dünkt?«, fragte Abraham irgendwann. »Es sind die vielen Raben, die hier überall herumflattern. Das ist äußerst ungewöhnlich und nie zuvor so geschehen. Man munkelt, sie seien die Armee der Gräfin von Waldstein, die als Hexe verschrien ist.«
    »Warum zerrt ihr sie nicht vor die Heilige Inquisition? Dann wäre dem Spuk schnell ein Ende gemacht.«
    »Natürlich. Bruder Theobaldus suchte sie bereits auf, aber wenige Tage danach war sie verschwunden. Sie ist es bis heute.«
    »Glaubst du, dass die Hexe etwas mit der Pest hier zu tun hat?«
    Der Augustiner-Barfüßer zögerte einen Moment. »Nein, ich denke es nicht, mein Freund. Gott schickt diese furchtbare Geißel, niemand sonst.«
    Sie arbeiteten bis spät in die Nacht, sprachen den verängstigten Menschen Mut zu und trösteten die bereits Erkrankten. Franziskus ließ sich vom Mut Abrahams schon bald anstecken, gemäß dem gestern gehörten Motto »Es sei gleich morgen oder heut, sterben müssen alle Leut«. Er überwand seinen Ekel vor den fiebrigen, vom Schüttelfrost geplagten Kranken, vor den hässlichen, schwarzblauen, manchmal nässenden Haut Verfärbungen, dem schwarzblutigen Erbrochenen und dem nicht enden wollenden Husten.
    Es ging gegen Mitternacht, als sie erschöpft aus einem Haus traten, dessen Bewohner soeben verstorben war und das die Siechknechte demnächst räuchern würden.
    Eine kaum erkennbare Gestalt trat um die Ecke. Sie kam gemessenen Schrittes die schmale Gasse herunter und war im schwachen Licht der schmalen Mondsichel nur schemenhaft wahrnehmbar. Trotzdem versteifte sich Franziskus sofort. Er schluckte schwer. Voller Entsetzen blickte er dem unbestimmbaren Etwas entgegen. Seine auf das Dämonische sensibilisierten Sinne sagten ihm, dass hier das personifizierte Grauen durch die Straßen wandelte. Er ächzte.
    Abraham drehte sich um. »Was ist mir dir, Freund? Es wird dich doch hoffentlich nicht auch erwischt haben.«
    »Ein Dämon, Abraham. Uns kommt ein Dämon entgegen«, flüsterte er. »Ich kann ihn als solchen erkennen.«
    Nun versteifte sich auch der Augustiner. Unwillkürlich fuhr seine Hand zum Brustkreuz. Auch Franziskus umklammerte das seine.
    Sie nickten sich zu. Dann verstellten sie der Gestalt den Weg.
    »Halt ein, Höllenkreatur!«
    Sie reckten ihr die Kreuze entgegen.
    Ihr Gegenüber hielt tatsächlich an. Er stand nicht mehr als sieben Schritt entfernt von ihnen. Franziskus spürte nun überdeutlich, dass es sich um einen Dämon handelte. Ein wenig mehr konnten sie jetzt erkennen. Hielt

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