0866 - Rattennacht
nach und entdeckte dort ebenfalls keine dieser possierlichen Tierchen. Noch stand ich ja nicht auf ihrer Liste.
Während ich mich in der Dusche auszog, dachte ich über Ratten nach. Viele Menschen mochten Ratten nicht. Sie ekelten sich vor ihnen. Sie empfanden sie als widerlich und gefräßig, sie wollten auf keinen Fall mit ihnen in Berührung kommen. So dachte ich nicht. Ratten waren schlaue Tiere, sie ließen sich dressieren; sie konnten sogar zu einem guten Freund des Menschen werden.
Das war die eine Seite.
Es gab noch eine andere, und die kannten nur wenige Menschen. Dafür hatte ich sie schon erlebt. Es ging um eine dämonische Beeinflussung der Ratten. Wenn das passierte, wenn sie unter einen magischen Strom gerieten, reagierten sie anders.
Dann fielen sie Menschen an, dann bissen sie zu, dann hackten sie ihre Zähne in Haut und Fleisch, dann versuchten sie, die Menschen mit ihrem magischen Keim zu impfen. Sie handelten nie aus eigenem Trieb heraus, sie wurden stets geleitet.
Das hatte ich erlebt, das würde ich möglicherweise auch hier erleben, wenn ich daran dachte, daß dieser Fall hier mit dämonischen Ratten zu tun hatte.
Den beiden jedenfalls hatte ich nichts anmerken können. Sie waren auch nicht verändert gewesen, weder groß noch klein, auch der Ausdruck ihrer Gesichter hatte sich nicht von anderen abgehoben.
Sie waren mir normal vorgekommen.
Aber sie irrten in einem Hotelflur herum, und das mußte mir zu denken geben.
Ich stellte mich zum Duschen in die Wanne und spülte mir den Staub und den Schweiß vom Körper, fühlte mich anschließend wie neugeboren und war sehr durstig, als ich in meine Kleidung geschlüpft war.
In der Minibar konnte ich unter verschiedenen Getränken wählen. Ich entschied mich für eine kleine Flasche Bitter Lemon und leerte sie mit zwei Schlücken, ohne ein Glas zu benutzen.
Kaum hatte ich sie zur Seite gestellt, als es klopfte. Auf meinen Ruf hin betraten Suko und Shao das Zimmer.
Sie lachten und zogen kurz darauf verwunderte Gesichter, als ich sie fragte, ob sie alleine wären.
»Klar, natürlich, warum fragst du?«
Ich schaute Shao an. »Weil ich den Eindruck hatte, daß vorhin zwei Ratten auf euch warteten.«
Beide waren sie geschockt. Suko, der hinter Shao das Zimmer betreten hatte, vergaß sogar, die Tür zu schließen.
»Mach sie zu«, sagte ich.
Das tat er, wobei er noch zu Boden schaute, aber keine Ratte entdeckte, die sich durch den Spalt in das Zimmer hineindrängte. Shao begrüßte mich mit Küssen auf die Wangen. Suko klatschte gegen meine Hand und wollte natürlich genau wissen, was mir da widerfahren war.
Er bekam es zu hören.
Shao saß im Sessel, hielt die Hände zusammengelegt und schüttelte den Kopf. »Sie haben es nicht aufgegeben«, murmelte sie. »Die verdammten Viecher haben es nicht aufgegeben. Sie versuchen es immer und immer wieder. Sie bleiben uns auf den Fersen.«
»Und warum tun sie das?« fragte ich.
Die Antwort bekam ich von Suko. »Wir haben uns da in eine Sache eingemischt, die uns im Prinzip nichts anging, aber so sind wir nun mal.«
»Dann fang mal von vorn an.«
»Werde ich machen, keine Sorge.«
So erfuhr ich alles. Sie vergaßen auch keine Details und fragten mich natürlich zum Schluß, wie ich zu diesen Dingen stand. Eine schnelle Antwort erhielten sie nicht, zunächst ein Anheben der Schultern, da ich mit all den Angriffen nicht zurechtkam. »Tut mir leid, aber ich weiß nicht, warum ihr euch den Zorn dieses Mannes zugezogen habt.«
»Er sah in uns etwas Besonderes. Nicht wir sind es, sondern er. Du brauchst dir nur seine Augen anzuschauen, John, dann weißt du alles. Diesen Blick wirst du nie vergessen.«
»Und ihr rechnet mit einem Ghoul, ebenso wie mit Ghoul-Ratten?« wollte ich wissen.
»Wir haben es zumindest nicht aus den Augen gelassen.«
Ich runzelte die Stirn.
»Das gefällt dir nicht?« fragte Shao.
»So ist es.«
»Nenn uns eine andere Möglichkeit.«
»Ich weiß keine.«
»Wir werden sie aber auf dem Friedhof Père Lachaise finden. Dort ist die Heimat unseres Freundes, da hält er sich auf, und er hat seine Ratten zu den Menschen geschickt, die ihn gedemütigt haben. Du kannst nach unten in die Lobby fahren, dir eine Zeitung vom heutigen Tag besorgen und dir die Fotos anschauen.«
»Muß ich das?«
»Ist deine Sache.«
»Dann lasse ich es lieber bleiben.« Ich wechselte das Thema. »Die Polizei habt ihr nicht alarmiert oder?«
Shao lachte. »Um Himmels willen, nein! Wir sind aus
Weitere Kostenlose Bücher