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0866 - Rattennacht

0866 - Rattennacht

Titel: 0866 - Rattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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niemand sprach darüber. Aber man lächelte Absalom wissend zu, man grüßte durch ein ganz bestimmtes Nicken, man war also informiert.
    Absalom reagierte nicht. Er wußte, warum sie ihn anlächelten, doch dieses Thema war für ihn erledigt. Seine Ratten hatten die drei zweibeinigen Ratten vernichtet. Es war einfach gewesen. Bis sich ein Nachfolger in der Szene hochgeboxt hatte, konnten die Menschen hier einigermaßen ruhig leben, aber das ging Absalom nichts an.
    Er war anders.
    Er war…
    Was bin ich überhaupt? fragte er sich und zog seinen Mantel enger um seinen Körper. Der Gedanke hatte ihn urplötzlich erwischt, scharf wie ein Nadelstich, und er mußte darüber nachdenken, wer er tatsächlich in diesem Leben war.
    Ein Mensch?
    Das sah so aus. Er bewegte sich wie ein Mensch, er aber war trotzdem keiner. In der letzten Zeit hatte er immer häufiger darüber nachgedacht, daß ihm dieses Menschsein nur geliehen worden war.
    In Wirklichkeit gehörte er gar nicht dazu. Er war ein anderer. Oder war er ein anderes?
    Ja, ein ES!
    Es gab ihn, und es gab ihn nicht. Sein Körper war da, und trotzdem gehörte er ihm nicht. Er wußte nicht mal, wer ihm den Namen Absalom gegeben hatte.
    Seine Eltern?
    Es wäre normal gewesen. Bis auf die Tatsache, daß er nicht wußte, wer seine Eltern gewesen waren und ob es die überhaupt je gegeben hatte? Er war tatsächlich an einem Punkt angelangt, daß er dies in Frage stellen konnte.
    Eltern…
    Lächerlich.
    Er kannte sie nicht.
    Es gab nur ihn!
    Aber auch nur halb. Nur als körperliche Existenz, ohne einen Hintergrund, einzig und allein verbunden mit seinen Freunden, den Ratten. Da war etwas nicht in Ordnung. Absalom hatte selten darüber nachgedacht. Erst in letzter Zeit war der Gedanke wieder in ihm hochgeschäumt, da hatte er sich mit seinem Background beschäftigen müssen.
    Der Begriff Gnade kam ihm in den Sinn. Allerdings in einer anderen Verbindung, als sie normalerweise verwendet wurde. Eine Gnade, die in einer Abhängigkeit von einer anderen Person stand. Von einem Jemand, den er nicht kannte.
    Von einem Schöpfer?
    Ja, es mußte einen Schöpfer geben. Einen, der ihn erschaffen hatte. Er war durch die Hände einer anderen Person entstanden, die er nicht kannte. Das Wort Eltern konnte er leicht streichen, es mußte für ihn ersetzt werden.
    Durch was?
    Absalom war so durcheinander, daß er sich in eine Lücke zwischen zwei schmale, windschiefe Häuser mit schmutziger Fassade zwängte und versuchte, die Gedanken über sich und seine Herkunft in eine bestimmte Reihe zu bringen, was ihm aber auch nicht gelang, denn das Begreifen dessen fiel ihm einfach zu schwer.
    Furchtbar war das.
    Aber er lebte weiter.
    Er konnte atmen, er konnte sich bewegen, er konnte auch nachdenken und handeln, aber das war nicht er, der das tat, sondern eine andere Person, die es für ihn übernahm.
    Sein Erschaffer?
    Absalom stöhnte. Er wäre am liebsten zusammengesackt und hätte sich in die Erde eingegraben.
    Zum erstenmal fühlte er sich verlassen und hilflos. Da war nichts mehr, was ihn noch auf den Beinen hielt. Sein eigenes Leben glich einer Farce, über die er nicht länger nachdenken wollte.
    Er stöhnte.
    Mit den Handflächen streifte er durch sein Gesicht. Der Schweiß fühlte sich klebrig an. Und genau dies gab ihm wieder Hoffnung. Er schwitzte. Menschen schwitzten ebenfalls. Da er schwitzte, konnte er davon ausgehen, ein Mensch zu sein.
    Oder nicht?
    Absalom war etwas durcheinander. Seine Gedanken glichen Wolkenbrüchen, die von verschiedenen Seiten aufeinander zuflogen, sich für einen Moment trafen, dann aber mit vehementer Wucht auseinanderdrifteten, um sich in irgendeiner Welt zu verlieren.
    Er preßte die Hände gegen die Stirn. Dahinter spürte er das Zucken. Die Haut war dünn, rissig. Er fühlte Knochen, hart, sehr gut, aber er konnte sich vorstellen, daß diese Knochen zu einer weichen, geleeartigen Masse wurden, wenn er zu stark drückte. Und er fragte sich zurecht, wie ihm dieser Gedanke überhaupt hatte kommen können. Hing dies mit dem Nachdenken über seine Herkunft zusammen?
    Es war möglich.
    Überhaupt war alles möglich, und Absalom fühlte sich plötzlich nicht mehr wohl in seinem Versteck. Er wollte dorthin, wo er sicher sein konnte, wo sich ihm seine Welt auftat.
    Der Friedhof.
    Seine Ratten - die einzigen Freunde, zu denen er Vertrauen haben konnte. Es gelang ihm, so wunderbar mit ihnen zu kommunizieren, und er hatte schon mal daran gedacht, in einem früheren Leben

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